Licht und Schatten in Ostanatolien. Zwei sehenswerte türkische Wettbewerbsbeiträge beim 66. Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg: „Zer“ von Kazim Öz und „Murtaza“ von Özgür Sevimli.
Filmemacher kommen gerne wieder nach Mannheim-Heidelberg. Kazim Öz war schon 2009 mit seinem Film The Last Season Shawaks im Wettbewerb vertreten. Der Dokumentarfilm, der über ein Jahr hinweg das Leben eines kurdischen Nomadenvolks begleitete, wurde mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. In der Begründung hieß es damals:
„Dem Team um Kazim Öz ist es gelungen, Nachricht von einem Mikrokosmos zu geben, von dem wir Nordeuropäer bisher nichts wussten. Wir freuen uns, dass die türkische Regierung den Kurden am Freitag mehr kulturelle Autonomie versprochen hat“.
Kazim Öz ist Türke mit kurdischen Wurzeln – er stammt aus der Region Dersim/Tunceli – und das Thema lässt ihn nicht los. Sein aktueller Wettbewerbsbeitrag Zer spielt vor dem Hintergrund der Dersim-Massaker, denen im Jahr 1938 viele Kurden zum Opfer fielen. Erst 2011 entschuldigte sich die türkische Regierung offiziell und erkannte mehr als 10.000 Todesopfer an. So politisch der Kontext des Films auch ist, Kazim Öz nähert sich dem Thema höchst poetisch. Ausgangspunkt von Zer ist New York. Hier lernt Musikstudent Jan seine Großmutter kennen, die für eine Operation aus der Türkei eingeflogen wird. Sie singt sie ihm ein Lied vor, dessen Sprache und Melodie ihn packt. Auf der Suche nach den Wurzeln dies Liedes reist er nach Ostanatolien, seine Spurensuche führt ihn immer tiefer in kurdisch geprägte Gebiete, zurück zu seinen Wurzeln, bis er am Ende ganz in die Vergangenheit eintaucht – wortwörtlich und wunderbar mystisch zugleich.
Erscheint Zer zu Beginn noch etwas gewollt inszeniert, so entwickelt der Film als Roadmovie eine authentische Kraft. Kazim Öz ist spürbar im Dokumentarischen zuhause. Doch Hauptdarsteller Nik Xhelilaj (bekannt aus Johannes Nabers Drama Der Albaner, der aktuellen deutschen Serie 4 Blocks und als Winnetou an der Seite von Wotan Wilke Möhring) trägt mit seinem intensiven Blick die Inszenierung und nimmt den Zuschauer mit auf diese persönliche, politische Reise gegen das Vergessen.
Der zweite türkische Film im Wettbewerb stammt von Özgür Sevimli. Der Regisseur war 2. Unit Director bei Nuri Bilge Ceylan, hat bei dessen Filmen Winter’s Sleep und Once Upon a Time in Anatolia zusätzliche Dreharbeiten geleitet. Murtaza ist sein nun erster eigener Spielfilm. Und das Programmheft des Festivals übertreibt nicht, wenn es „großartige Bilder“ verspricht. Die Geschichte des alten Bauern Murtaza, der mit seiner blinden Frau abgeschieden in den Bergen Ostanatoliens wohnt, ist in Kamera-Einstellungen erzählt, in denen Licht und Schatten sinnlich konkurrieren. Genauso wie in der Erzählung Wahrheit und Lüge gegeneinander antreten: Denn Murtaza möchte um jeden Preis Idylle, in der er lebt, verteidigen – gegen die schlechten Nachrichten, die im Dorf auf ihn hereinstürmen, gegen den Wandel der Zeit, und sogar gegen die Tatsache, dass die Tochter im fernen Istanbul gestorben ist. Er verheimlicht es vor seiner Frau. Aber idyllisch ist sowieso nur die Oberfläche. Die Schatten der Vergangenheit zeigen sich am Ende dunkler als die düsteren Räume des Hauses, in dem er und seine Frau seit Jahrzehnten leben.