Ein Dokumentarfilm-Regisseur auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Du hast Geschichte, Psychologie und Literaturwissenschaft studiert. Wie bist du Filmemacher geworden?
Ich habe erst 1 Semester Jura studiert. Eigentlich wollte ich bis zum Abi immer Meeresbiologie studieren. Ich hatte nie vor, Journalist oder Filmemacher zu werden. Mein Vater hat beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gearbeitet, deswegen hatte ich so eine Abwehrhaltung: nein, interessiert mich nicht. Dann gabs da aber irgendwann mal so ein Praktikum, wo ich gemerkt habe: Biologie ist doch nicht mein Ding.
Ich war immer schon, sagen wir mal, links-alternativ angehaucht, und da gerade die ganze Debatte um das Asylrecht stattfand, dachte ich: Es braucht auch Anwälte auf der guten Seite der Macht! Dann habe ich in Heidelberg angefangen Jura zu studieren. Und es war ganz furchtbar, es war wirklich ganz furchtbar. Ich fand Jura langweilig und ich sah zu der Zeit noch so ein bisschen Punkrock-mäßig aus. Damals hatten alle Juristen irgendwie Perlenohrringe und eine Prinz-Charles-Barbour-Jacke. Und ich hatte rasierte Haare und Skater-Schuhe und bin sofort aufgefallen. Ich habe irgendwann gemerkt, dass ist eine Denke, die mir irgendwie fremd ist, und da ich jetzt wohl oder übel Zeit zum Lernen aufwenden muss, dann will ich lieber etwas lernen, was auch meine Allgemeinbildung erweitert. Dann habe ich auf Geschichte, Psychologie und Englisch gewechselt – und das habe ich auch nie bereut.
Und wie bist du dann zum Filmemachen gekommen?
Ich habe während des Studiums angefangen, Hospitanzen zu machen. Zuerst beim Südwest-Rundfunk in der Nachrichtenredaktion. Da durfte ich dann ab und zu mal eine Nachricht schreiben. Dann beim Fernsehen, beim Südwestfunk bei der aktuellen Redaktion. Da durfte ich eigentlich gar nichts machen. Dann bin ich nach Köln gezogen – ich bin großer Köln-Fan – und habe da 12 Jahre gelebt. Während meines Geschichts-Hauptstudiums habe ich da beim Fernsehen für die Geschichts-Redaktion hospitiert und bei einem Film mitgemacht als Assistent des Autors.
Am letzten Tag der Hospitanz durfte ich das erste Mal mit auf eine Redaktionskonferenz. Da kriegte ich mit, dass die in der ARD eine Reihe über Wehrmachtverbrechen machen. Ich hatte ein halbes Jahr vorher – und das war so eine glückliche Fügung, sonst wäre ich wahrscheinlich Historiker oder so – eine Arbeit genau über das Thema geschrieben. In der Geschichts-Redaktion war kein großes Wissen da. Die haben den Film raus gegeben an eine Produktionsfirma. Ich habe dann gesagt: wenn die noch jemanden brauchen, gebt doch meine Adresse weiter – und die haben tatsächlich 2 Wochen später angerufen. Aus dem Film hat sich dann mein erster eigener Film und Beitrag entwickelt. Und dann war ich die ersten 5 Jahre meines Berufslebens auf Nazi- und Wehrmacht-Themen geeicht.
Warum machst du Dokumentarfilme?
Schwere Frage. Warum mache ich Dokumentarfilme? Zunächst einmal finde ich, dass das ein Genre ist, was vielfach unterschätzt wird. Dokumentarfilmer sind ja ein bisschen die Krankenschwestern des Medien-Business, die das Herz am rechten Fleck haben. Aber es ist natürlich total unterfinanziert und die Sender verstecken es ganz weit hinten im Programm.
Ich glaube, dass sich die Dokumentarfilmer tatsächlich die Dramaturgie aus dem Stoff suchen. Weil ein richtiger guter Dokumentarfilm ja meistens nicht nach Schema F funktioniert. Sondern man muss den Stoff so lange – bisweilen auch schmerzhaft – bearbeiten, bis dann wirklich eine Dramaturgie da ist, die dem Thema entspricht. Und die ist eben manchmal stranger than fiction.
Einer der tollsten Dokumentarfilme, der als Spielfilm nie funktionieren würde, ist Missing Allen von Christian Bauer. Da geht es um einen deutschen Filmemacher, der leider inzwischen gestorben ist. Immer, wenn er in Amerika gedreht hat, hat er mit demselben Kameramann gearbeitet. Irgendwann schreibt dieser ihm noch ein paar Postkarten und verschwindet dann von der Bildfläche. Auch seine amerikanischen Freunde finden ihn nicht mehr. Und der Filmemacher macht sich auf die Suche und diese Suche wird so strange, dass man sich das gar nicht….
Der ist irgendwie abgedriftet, hat eine Frau kennengelernt, die hat den dann irgendwann im Sektenwahn zerstückelt, glaube ich. Das findet der Filmemacher langsam raus, als er sich auf die Suche nach diesem Allen macht. Das ist ein wahnsinniger Film. Der zeigt für mich wirklich, dass die Welt manchmal stranger than fiction ist. Da gibt es einfach so viel zu entdecken, was nicht in dieses Schema F, dieses formatierte Schema von Fernseh-Dokus, rein passt. Und dafür brauchst du einen Dokumentarfilm.
Das Thema Realität und Wahrhaftigkeit im Dokumentarfilm ist ja zur Zeit auch wegen der als Dokumentarfilm verkauften Doku-Fiction This ain’t California sehr aktuell. Wie stehst du zur Verschiebung der Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit?
This ain’t California ist ein spezielles Thema für mich, weil ich dem Film 100% auf den Leim gegangen bin, und ich durchaus auch gerne Mockumentaries sehe. Ich fand z.B. Banksy – Exit through the Gift Shop einen hervorragenden Film, weil der Zuschauer da rausgeht und sich fragt: was ist real und was ist fake? Der Grips hat ein bisschen was zu tun. Das finde ich super und absolut legitim, und sogar ein schönes Stilmittel und tollen Film. Das ist jetzt sozusagen die Antithese zu This ain’t California.
Als ich This ain’t California gesehen habe, habe die ganze Zeit als Fachmann meine Ohren gespitzt: wo kommen jetzt… was ist davon echt… was für einen Schatz hat dieser Filmemacher gefunden… das ist ja Wahnsinn! Dieser Film lebt davon, dass er Authentizität zeigt – denkt man erst mal. Und ich habe überall gedacht: wo ist jetzt das Zeichen? Der muss doch irgendwie…. das gehört doch zur Konvention zu zeigen…. zumindest irgendwie zu zeigen: liebe Leute, das müsst ihr euch selbst entdecken.
Aber er setzt ja Zeichen, die suggerieren, dass alles echt ist. Und das ist ja – Sündenfall ist ja glaube ich doch zu hoch gegriffen, das Wort – aber das ist ja der große Fake und der große Beschiss an dem Film. Also ich bin da rausgegangen und war zutiefst emotional berührt. Ich hab den Film auf der Berlinale gesehen und bin noch zum Regisseur und zum Produzenten gegangen und habe gesagt: Was für ein super Film! Und hatte echt die Tränen in den Augen und bin dem total aufgesessen. Und dann kriegte ich so langsam mit…
Dann habe ich den Kameramann kennengelernt und gefragt: Wie viel ist denn da jetzt echt und wie viel nicht? Ist da was nachgedreht? Und der sagte: Betriebsgeheimnis. Da habe ich schon gedacht: oh, o.k.? Ist also nicht alles echt. Bis dahin habe ich gedacht, es ist alles echt. Und dann fing er an zu erzählen: Ja, wir haben so einen tollen Rechercheur gehabt und der hat diese tolle Szene von den Nachrichten gefunden. Und da dachte ich: Wenn der mir jetzt von einer Szene erzählt, die echt ist, dann heißt das 90% des anderen sind…. dann kann man zumindest daraus schließen, dass ganz schön viel nicht echt ist. Also mehr als vielleicht 10% nachgedreht.
Und dann kam eben immer mehr raus – gegen die Widerstände. Die Hannah Pilarczyk von Spiegel-Online hat dann endlich mal weiter gestreut etwas geschrieben und hat gesagt: alles Beschiss. Und da habe ich ihr dann auch geschrieben: danke, dass mal endlich jemand etwas dazu schreibt. Irgendein Super-Medienanwalt hat sie auf Unterlassung verklagen wollen, damit das nicht mehr weiter verbreitet wird. Und wenn da schon auf Unterlassung geklagt wird, da hat man ja den Eindruck, da ist was an der Grundaussage des Artikels falsch. Aber eine Begründung war, dass Hannah Pilarczyk geschrieben hatte, der eigentliche Skandal wäre, dass die Filmbewertungsstelle in Frankfurt den Film als Dokumentarfilm einstufe. Die Filmbewertungsstelle ist allerdings in Wiesbaden. Das hat dieser Anwalt als formalen Fehler zum Anlass genommen, um mit allen Mitteln dagegen zu schießen. Aber zum Glück, die Gerechtigkeit zeigt es: der Film ist wie die Zuschauerzahlen zeigen nicht gut gelaufen, deswegen kann man sich auch wieder beruhigen. Der war ja auch vorgeschlagen als deutscher Oscar-Kandidat. Wo ich gedacht habe: das kann nicht wahr sein.
Ich sehe auch jetzt noch immer wieder Rezensionen, die den Film unkritisch als 1a Dokfilm abfeiern. Das finde ich bedenklich.
Also die Cutterin, die meinen Film geschnitten hat, hat deswegen auch einen bösen Leserbrief an die Zeitschrift Schnitt geschrieben.
Ich habe aus dem gleichen Grund an die Kultur-Redaktion der Süddeutschen Zeitung geschrieben, weil deren ausführliche Kritik auch mit keinem Wort auf die Fake-Vorwürfe eingeht, die zu dem Zeitpunkt längst bekannt waren
Was haben die geantwortet?
Nichts
So ist das auch: Aus den Augen, aus dem Sinn. Aber mich hat das schon total genervt, dass ich dem so aufgesessen bin…
Du wärst nicht so skrupellos, dem Zuschauer gegenüber ein falsches Spiel zu treiben?
Es gibt natürlich dramaturgische Gründe, wo ich sage: o.k. die Reise hat jetzt nicht genau in der Reihenfolge stattgefunden, wie ich es im Film behaupte. Aber das sind ganz normale dramaturgische Mittel, weil das eher eine gedankliche Reise ist, die nach inhaltlichen Gesichtspunkten geordnet ist. Ich finde, das ist aber noch legitim.
Klar, mache ich mir total Gedanken darüber, und frag mich auch: wie sehr darf man den Zuschauer unterhalten? Da bin ich, sagen wir mal, etwas offener als viele in der Filmkritik. Ich finde dröge Dokumentarfilme, die tolle Themen haben, zwar aller Ehren wert, aber es muss auch andere geben, die dann ein paar Leute ins Kino holen, weil wir sonst einfach Gefahr laufen, dass…. Ja, sonst fragt man sich: Warum müssen 2 Sender und 3 Filmförderungen ein Projekt finanzieren, das nur 300 Leute ins Kino zieht. Erstaunlicherweise kommen die dann immer wahnsinnig gut bei der Filmkritik an. Und wenn ich die dann sehe, dann denke ich: hmh?
Plötzlich klingelt das Handy an der Steckdose ins Gespräch hinein. Wir bemerken, dass wir eine ganze Stunde geredet haben.