Dietrich Brüggemann über seinen Film RENN, WENN DU KANNST
Dieses Interview mit Dietrich Brüggemann ist im Gegensatz zu dem Interview mit Duncan Jones kein selbst geführtes, sondern ist dem offiziellen Presseheft zum Film Renn, wenn Du kannst entnommen:
Du hast schon einmal einen Kurzfilm über ein behindertes Mädchen gemacht, mit deiner Schwester Anna, der hieß „Katja kann fast alles“. Was interessiert dich an dem Thema?
Ich war selbst Zivi in der Schwerstbehindertenbetreuung im Diakonischen Werk in Regensburg. Dort habe ich einen BWL-Studenten begleitet, auch durch sein Examen. 5 Tage lang habe ich 7 Stunden lang alles für ihn notiert, er konnte selbst nicht schreiben. Die Geschichte des Films steht also schon ganz lange im Raum. Außerdem sitzt unsere jüngere Schwester im Rollstuhl, wir sind mit dem Thema aufgewachsen in so einer Vertrautheit, die dazu geführt hat, dass wir bei vielen Filmen zu dem Thema gesagt haben: „Das stimmt doch alles nicht.“ Entweder, die Filme sind übertrieben zynisch oder sie trauen sich nicht genug. Da wo es ans Eingemachte geht, wo der Mensch sich nicht mehr nur über Worte und Gedanken ausdrückt, sondern wo er seinen Körper dazu benutzen muss… zum Beispiel beim Sex. Da marschiert kaum ein Rollstuhlfilm geradeaus durch, wo es dann auch wirklich peinlich und schmerzhaft wird. Alle blenden vorher weg und wollen es auch gar nicht so genau wissen.
Dein Behinderter Ben hat einen sehr speziellen Blick auf die Welt? Wieso?
Ben ist ein Entertainer und zum Entertainer gehört auch immer ein gewisser Anteil an Publikumsbeschimpfung, denn die Zuschauer lachen gerne über sich. Ben lebt diesen Anteil ins Extreme. Wir wollten auch gar keine allgemeinen Aussagen über Behinderte machen, sondern uns hat dieses eine Individuum interessiert – der Gegensatz aus einem sehr wachen, schnellen, lustigen Geist, der sich aber körperlich nicht bewegen kann. Vom Denken und Reden her hat er eine Menge von mir selber. Und natürlich habe ich durch meinen persönlichen Zugang einen profunden Einblick in eine Welt, die die meisten Menschen gar nicht kennen lernen wollen und vielleicht auch gar nicht kennen lernen müssen. Wobei Behinderte eine Randgruppe sind, der jeder beitreten kann, und zwar durch Krankheit oder einen Unfall.
Du hast bei diesem Film außer Drehbuch und Regie noch Storyboards und eine Animationssequenz gezeichnet und Musik zum Soundtrack beigesteuert. War das geplant?
Für mich sind diese Elemente Teile eines Ganzen. Ich bin beim Film gelandet, weil ich mich schon in der Schule mit allen Künsten befasst habe und alle toll fand, ohne dass ich das Gefühl hatte, darin besonders toll zu sein. Nach der Schule hab ich überlegt, werde ich ein richtig anständiger Zeichner und werfe dafür alles andere über Bord oder geh ich zum Film, wo man alles braucht. Film ist ein Kompendium an Künsten und deshalb macht es mir auch so großen Spaß, das alles beizutragen.
In Renn, wenn du kannst mischen sich sehr formale, artifizielle Dinge, wie zum Beispiel Trickfilm oder ausgefallene optische Elemente mit sehr realistischen Sequenzen. Wieso?
Die verspielten Elemente – die Traumsequenzen, das Spiel mit Schriften oder die Sequenz mit den fliegenden Zetteln – spiegeln im Film eher die Haltung der Figuren zum Leben wieder, sie stehen für ihre Sehnsüchte und Träume. Der Animationsfilm zum Beispiel steht für eine ganz andere Seite von Ben – etwas, was man mit Worten und Szenen so nicht ausdrücken kann. Film ist für mich Träumen mit offenen Augen, ich liebe das im Kino und deshalb will ich auch selber mit verschiedenen filmischen Formen herumprobieren. Andererseits wollte ich den Figuren gegenüber auch ehrlich sein, ihre Geschichte so wahrhaftig wie möglich erzählen. Ich mag es nicht, wenn ein Film das Blaue vom Himmel herunter lügt und ich mich verarscht fühle. Ein Film muss für mich eine gewisse Wahrheit einfangen, darf aber auch nicht so pädagogisch rüberkommen. Ich will einfach nur den Figuren glauben, dass sie sie selbst sind und ihren Weg mit ihnen gehen und deshalb darf man eben auch nicht vor Sexszenen zurückschrecken, in denen alles furchtbar schief geht. Das muss dann halt so sein, das eine fügt dem anderen etwas hinzu, deshalb greifen solche unterschiedlichen Elemente bei mir ineinander.
Gibt es einen Regisseur, der dich dazu inspiriert hat?
Ich liebe die Filme von Stanley Kubrick. Aber am meisten beeindruckt hat mich damals mit 19, 20, als ich Zivildienstleistender war, „ Brazil“ von Terry Gilliam. Diese Art, in einer völlig surrealen Welt eine wilde Geschichte zu erzählen, die trotzdem emotional glaubhaft und toll ist und auch etwas aussagt über eine Gesellschaft; diese Hochzeit von Eskapismus und einer wütenden Art, eine Message zu haben, der formale Irrwitz, der da losbricht, hat mich unglaublich geprägt… vielleicht eifere ich bis heute diesem Film nach.