2 Filme mit weiblichem Blick beim 59. Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg
Sophie Schoukens | MAREIKE, MAREIKE | Belgien 2010
Von jungen Frauen und alten Männern – Sex, Macht und Musik
Mareike und Katarina sind beide zwanzig Jahre alt und auf der Suche. Die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Identität, nach einem eigenen Platz im Leben treibt sie an. Mareike bricht auf ihrem Weg stillschweigend Tabus, Katarina geht gewaltsam über Grenzen. Die Suche der einen verläuft ruhig und voll von Melancholie, die der anderen dramatisch und voller Aggressionen. Unter die Haut gehen sie beide.
Mareike, die Titelheldin des belgischen Films Mareike, Mareike, schläft mit alten Männern. Der Regisseurin Sophie Schoukens war es wichtig, dass es sich um alte Männer und nicht um „ältere“ Männer handelt, wie sie im Publikumsgespräch sagte. Junge Frauen und ältere Männer sind längst ein gängiges Klischee, maßgeschneidert für den männlichen Blick. Mareike, Mareike setzt dem eine weibliche Sicht entgegen, in der die junge Frau nicht Objekt ist, sondern als agierende Persönlichkeit ernst genommen wird.
Mareike sucht und findet in den Armen ihrer Liebhaber die Wärme und Geborgenheit, die sie vermisst, seit ihr Vater tot ist. Doch als sie einen alten Freund des Vaters kennenlernt, zu dem ihre Mutter jeden Kontakt vermeidet, wird sie mit Geheimnissen der Vergangenheit konfrontiert und muss lernen, die Sehnsucht nach dem verlorenen Vater und körperliche Hingabe zu trennen. Mit stiller Intensität verkörpert Hande Kodja die Mareike, auf die die Liedzeile von Jaques Brel so gut passt: „Ohne Liebe, warme Liebe, ist alles vorbei“.
Lisa Langseth | TILL DET SOM ÄR VACKERT | Schweden 2010
Auch der schwedische Wettbewerbsbeitrag Till det som är vackert – Pure von Lisa Langseth wird getragen von seiner herausragenden Hauptdarstellerin: Alicia Vikander in der Rolle der Katarina ist eine echte Entdeckung – und wurde für ihre „außergewöhnliche schauspielerische Leistung in einem sehr beeindruckenden Film“ bei der Preisverleihung in Mannheim am 21.11.2010 mit einer Lobenden Erwähnung der Internationalen Jury bedacht.
Schon in der ersten Einstellung, die sie versunken Mozart hörend zeigt, dessen „Requiem“ sie ausgerechnet auf Youtube entdeckt hat, entfaltet sich ihr widersprüchlicher Zauber, auf den später auch der Dirigent der Göteborger Symphoniker ansprechen wird. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg von dort, wo sie herkommt. Katarina ist für ihre promiske Vergangenheit im Vorort verschrien, ihre Mutter ist Alkoholikerin. Bevor sie so werde wie sie, bringe sie sich lieber um, sagt Katarina zu ihr. Eine Aussage wie ein Schlag ins Gesicht der Mutter, später wird Katarina noch nachtreten. Mit aller Gewalt will sie sich befreien aus den asozialen Verhältnissen, die sie umgeben und wenn einer zu ihr sagt, sie spinne doch, dann tickt sie ganz aus.
Katarina ist eine Borderline-Persönlichkeit mit Sehnsucht nach Bildung und Geborgenheit und dem festen Willen, soziale Grenzen zu überwinden. Als sie sich eine Stelle als Empfangsdame in der Konzerthalle erschwindelt und der verheiratete Dirigent für sie geistiger Mentor wird, öffnen sich Türen zu einem neuen Leben. Doch auch Till det som är vackert – Pure ist ein Film darüber, wie sich die Suche nach Zugehörigkeit und Sex vermischen und in die Quere kommen. Katarina hat nicht wie Mareike das Glück, nur auf moralisch integere Männer zu treffen, die sie letztendlich ein Stück weit vor sich selbst schützen. Zu den Klängen des „Requiem“ nimmt erzählerisch intensiv und nah an der Protagonistin ein erschütterndes Drama seinen Lauf.
Die Vikander spielt sehr gut. Das war es dann auch. Als ob die unerträgliche Leichtigkeit des Seins in der inneren Schönheit des Universums aufzugehen habe, lässt das Buch keine Gelegenheit aus, einem dummen Publikum mitzuteilen, dass man nun mal ohne ein paar philosophische Brocken nicht aufgenommen wird im Olymp des Bildungsbürgertums. Musikalisch baden wir im e-Wunschkonzert. Das Klarinettenkonzert von Mozart, das uns vor Jahren in Padre Padrone zu Tränen rührte darf ebenso hinhalten wie der zur Platitüde heruntergerittene 2. Satz aus Beethovens 7er Synphonie. Mit dem Maestro endet der Plot auf dem Asphalt. Völlig plausibel wird da durchgegriffen, ohne Federlesens. Applaus. Eine Frau sieht rot. Damit ist der ganze Philosophenkitsch schon fast vom Tisch. Das Univerum beginnt nach dem big cunch von neuem. Das Arschgesicht, der Maestro ist endlich weg, ein neuer dirigiert. Die heilige Katarina überlebt, kein Heroin, kein Koks, nein für einmal ein Happyend, nichts gegen Happy-Ends wohlverstanden. Eiserner Durchhaltewillen der Katarina und ein gutes sozialstaatliches Auffangsystem wird suggeriert. Sie bringt die Kinder auf den richtigen Weg. Es lebe die ernste, die schöne Musik. So einfach ist das alles in unserem schönen Universum.