Oskar Roehler | JUD SÜSS – FILM OHNE GEWISSEN | Deutschland, Österreich 2010
>>Wir verwahren uns gegen Vorwürfe wie „Verantwortungslosigkeit“ und „Geschichtsfälschung“, wünschen uns vielmehr, dass unser Film kritisch als deutsches Melodram gewürdigt wird, und als sehr ernster Versuch, sich unserer dunklen filmgeschichtlichen Vergangenheit zu stellen.<<
Klaus Richter, Drehbuch
Oskar Roehler, Regie
München und Berlin, 23. Februar 2010
Mit Oskar Roehlers Jud Süß – Film ohne Gewissen kommt jetzt der meist diskutierte deutsche Film des Jahres in die Kinos: Der Film sorgte bei seiner Welturaufführung im Rahmen der Berlinale bei der Pressevorführung für laute Unmutsbekundungen und für heftige Diskussionen.
Der Spielfilm erzählt die Entstehungsgeschichte des antisemitischen Nazi-Propaganda-Films Jud Süß (1940), der heute nur unter Auflagen und mit begleitendem Kommentar öffentlich vorgeführt werden darf.
1939 entdeckt Goebbels (Moritz Bleibtreu) den relativ unbekannten Schauspieler Ferdinand Marian (Tobias Moretti) auf der Bühne und versucht ihn erst mit Charme, später mit Drohungen dazu zu bewegen, in Veit Harlans Film Jud Süß die Titelrolle zu spielen. Marian hat Skrupel, seine Frau (Martina Gedeck) ist entsetzt, doch schließlich gibt Marian dem Druck Goebbels nach. Er glaubt, mit nuancenreicher Darstellung die antisemitischen Propaganda-Absichten unterlaufen zu können und außerdem schmeichelt die Aussicht auf Ruhm dem Schauspieler-Ego des Familienvaters, der auch ganz gerne Frauenheld ist. Als er schließlich begreift, wofür er sich hat instrumentalisieren lassen, ist es zu spät: Aus Eitelkeit hat er hat den Absprung aus Deutschland verpasst, Goebbels hat ihn fallen lassen, seine Frau ist deportiert worden und ihm bleibt nur sein Gewissen mit Alkohol zu betäuben.
Jud Süß – Film ohne Gewissen wirkt wie ein Zerrspiegel vor dem historischen Hintergrund. Der Film zeichnet visuell mit fast monochromen Bildern der filmischen Stil der 40er Jahre nach. Grundsätzlich kann man auch die oftmals übertriebenen schauspielerischen Darbietungen als Referrenz an die Filme der damaligen Zeit deuten. Das Drehbuch von Klaus Richter (Comedian Harmonists) beugt die Fakten zugunsten der Dramaturgie von Aufstieg und Fall des verführten Marian. Tobias Moretti liefert eine nuancenreiche Darstellung ab, doch Oskar Roehler interessiert sich nicht sehr für Marians menschlichen Niedergang, der schlaglichtartig abgehakt wird und emotional kaum zu berühren vermag. Stattdessen funktioniert der Film als Parabel über die Faszination des Bösen, denn Bleibtreu liefert durch seine extrem übersteigerte Darstellung weniger einen glaubhaften Goebbels als eine gelungene Personifizierung des Bösen. Wenn Bleibtreu allerdings plötzlich von der Leinwand verschwindet, wirkt der Film mit seinen Roehler-typisch oftmals ins Schrille übersteigerten Szenen seltsam hohl und hinterläßt einen schalen Nachgeschmack.
© Kirsten Kieninger, in anderer Form zuerst erschienen in der RNZ vom 23.09.2010
Filmdaten:
Toller Blog, Kompliment! Habe Dich eben entdeckt und gleich in meiner Blogroll verlinkt. Werde Dich ab sofort regelmässig „heimsuchen“, da Du auch „kleinere Filme“ kommentierst. Und interessant kommentierst.
Über den „Film ohne Gewissen“ liest man völlig unterschiedliche Meinungen. Mich interessiert sowas nicht wirklich, da ich finde, das heute doch sehr oberflächlich daherkommende Medium Film sei dieser Thematik nicht angemessen. Es sei denn, ein wirklich grosser Regisseur hätte sich dessen angenommen…