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WILD PLANTS

Der neue Film von Nicolas Humbert. Pures, entschleunigendes Dokumentarfilmglück.

 

Hundepfoten kratzen auf dem gefrorenen Fluss. Ein Baum fällt. Hände, die in der Erde wühlen. Disteln, die durch Asphalt wachsen. Gesichter, die in die Kamera blicken. Es vergehen mehr als zehn Minuten, bevor in Wild Plants die ersten Worte gesprochen werden: „Zigarrenhüllen, Schwangerschaftstests, Fast Food Verpackungen“ – was man alles so im Boden findet, beim Urban Gardening in Detroit. Zwischen fensterlosen, verlassenen Häusern und endlosen Güterbahnlinien hat sich ein junges Paar in ihrem Viertel ein wildes Gartenparadies erschaffen. Der Kompost, den sie auf die Beete streuen, wird zur Metapher für Transformation.

Der deutsche Filmemacher Nicolas Humbert hat schon in den 1990er Jahren ein Gespür für die Poesie des Augenblicks und die darin versteckten Zusammenhänge des Seins bewiesen. Zusammen mit Werner Penzel hat er die Dokumentarfilme Step across the Border und Middle of the Moment geschaffen. Musikalische Filmpoeme in schwarzweiß, mit der Musik von Fred Frith und dem Zeitgefühl der Tuareg Nomaden. In Wild Plants spürt er nun unter der Oberfläche dem Kreislauf von Vergehen und Werden nach – in Begegnungen mit Urban Gardeners in Detroit, Mitgliedern einer Landbaukooperative in Frankreich, einem Philosophen der Lakota-Indianer und einem Blumenbomber in Zürich.

Maurice Maggi streift bei Nacht durch die Straßen, bewaffnet mit Schäufelchen und Handharke. An Seitenstreifen und Verkehrsinsel beackert er den harten, verkiesten Boden und sät aus. Er tut dies seit vielen Jahren, auf seinem Stadtplan zieht sich rot markiert ein ganzes Netz seiner „Malvenspuren“ durch Zürich. „Pionierpflanzen sind für mich gesellschaftspolitische Gesinnungsgenossen“, sagt er, täten sie doch genau das, was auch sein Weg ist: „Von der Nische her etwas verändern“. Ob der Blumenbomber von Zürich oder die Mitglieder der Landbau-Kooperative „Jardins de Cocagne“ in Genf, die Protagonisten von Wild Plants sind allesamt Charaktere, die sich sehr reflektiert im Zusammenhang mit Gesellschaft und Natur definieren.

Im Einklang mit Wetterverhältnissen und Tageszeiten gleitet der Film assoziativ von einem Ort zum anderen und verbindet die Menschen in ihrem Tun, erzählt von Herkunft und Zukunft, vom Leben und Sterben, vom ewigen Kreislauf der Natur. Dabei entwickelt Wild Plants einen entschleunigenden, meditativen Sog, musikalisch kongenial begleitet von Zeitblom, dessen Musik den ruhigen Fluss des Films an einer Stelle plötzlich kraftvoll aufbricht, um danach die Diskrepanz zwischen Laut und Leise, Fluglärm und Stille, Sirenengeheul und Grillenzirpen auf der Tonspur um so wahrnehmbarer zu machen.

Die Filmmontage von Simone Fürbringer erlaubt dabei das Zusehen, wo andere Filme längst weggeschaut und gekürzt hätten. Im sichtbaren Vergehen von Zeit bringt Wild Plants den ganzen Zauber des Moments auf die Leinwand: Wenn die Kamera ruhig auf der jungen Ungarin in ihrem Garten in Detroit verharrt, auch nachdem sie ausgeredet hat und diese dann nach über einer – bei weitem nicht gänzlich ereignislosen – Minute plötzlich wieder anfängt zu reden. Was sich hier im geduldigen Zusehen und Hinhören offenbart, das ist pures Dokumentarfilmglück.

Filmdaten:
Kinostart: 12.01.2017
Produktionsland: Deutschland, Frankreich, Schweiz
Produktionsjahr: 2016
Länge: 99 Min.
Regie: Nicolas Humbert
Drehbuch: Nicolas Humbert
Bildgestaltung: Marion Neumann
Ton: Jean Vapeur
Montage: Susanne Fürbringer
Musik: zeitblom

 

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