Er macht seit bald 60 Jahren Filme – kaum zu glauben, dass er noch nie beim Internationalen Festival für Dokumentar- und Animationsfilm in Leipzig zu Gast war. Nun endlich, zur 61. Festivalausgabe, kommt Werner Herzog und präsentiert am 29. Oktober den Eröffnungsfilm: Meeting Gorbatchev. Herzog hat den ehemaligen Präsidenten der UdSSR in seinem Büro in Moskau zu intensiven Gesprächen über das Ende des Kalten Krieges und die Wiedervereinigung Deutschlands getroffen. Produziert hat er den Film in Co-Regie mit André Singer, mit dem er zuvor schon als Produzenten-Team für Joshua Oppenheimers The Act of Killing zusammengearbeitet hat.
Über 60 Dokumentar- und Spielfilme gehen auf Werner Herzogs Filmemacher-Konto als Regisseur. Da kann das Programm der Hommage, die das Festival ihm widmet, natürlich nur einen kleinen Auschnitt seines (dokumentarischen) Werkes abbilden. Grizzly Man und Little Dieter Needs to Fly sind natürlich dabei, aber auch unbekanntere Werke wie Wodaabe – Die Hirten der Sonne oder Herakles. Ein kleines Schmankerl bietet die Hommage auch: Werner Herzog eats his shoe von Les Blank. Dieser hat 1980 dokumentiert, wie Werner Herzog öffentlich seinen Schuh verspeiste, als sein Freund Errol Morris endlich seinen ersten Film fertigstellte. Herzog macht das Beste aus der verlorenen Wette: er kocht den Schuh zunächst in Hühnerfett und Wasser, gewürzt mit Knoblauch und Kräutern „weich“, um ihn dann vor Publikum tatsächlich Stück für Stück herunter zu würgen.
Werner Herzog ist ein Mann vieler Anekdoten und unglaublicher Geschichten, und die Chance dabei zu sein, wie er sie auf seine eigenwillige Art erzählt, gibt es beim Publikumsgespräch Ekstatische Wahrheiten. Ein Gespräch mit Werner Herzog am 30. Oktober, wenn er „anhand von Filmausschnitten über seine wichtigsten Dokumentarfilme sprechen, die Bedeutung der Musik für seine Arbeit erläutern und erklären wird, warum er manchmal die Position von Außerirdischen einnimmt“ – so verspricht es zumindest die Programm-Ankündigung.
Eine weitere Hommage widmet DOK Leipzig in diesem Jahr der österreichischen Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann, die mit Waldheims Walzer aktuell für Österreich im Oscar-Rennen ist. DOKUMENTIEREN/DEMONSTRIEREN ist ein sprechender Titel für die Hommage an eine Filmemacherin, die in ihren Filmen Politisches und Persönliches verwebt und dabei ihren ganz eigenen poetischen Erzählton findet. Während des Festivals wird sie auch eine Masterclass geben und Mitglied der Next-Masters-Juries sein. Außerdem stammt der diesjährige Festival-Trailer von ihr:
Rund 300 Filme stehen vom 29.10. bis 4.11. auf dem Programm. Beim letztjährigen Festival hat Festivalleiterin Leena Pasanen in ihrer Eröffnungsrede die Einführung einer Frauenquote angekündigt – nun ist die Quote tatsächlich erfüllt: 50 Prozent der Filme in der Offiziellen Auswahl sind von weiblichen Regisseurinnen. Im Deutschen Wettbewerb langer Dokumentar- und Animationsfilm sind sogar sechs von neun Filmen unter weiblicher Regie beziehungsweise Co-Regie entstanden.
„Mit der Quote wollten wir eine Veränderung anstoßen. Deshalb freut es uns sehr, dass wir die Quote im ersten Jahr gleich übertroffen haben. Beim Auswahlprozess hat sie allerdings zunächst keine vorrangige Rolle gespielt, sie war lediglich eines von vielen Kriterien. Wir hoffen nun, dass wir damit einen ersten Schritt gehen konnten – und in Zukunft die Quote gar nicht mehr brauchen, weil sie sich ganz selbstverständlich einstellt.“
Ralph Eue, Programmer bei DOK Leipzig und Leiter der Auswahlkommission
In diesem Jahr startet das Festival eine neue Reihe unter dem Titel Spätlese, mit Highlights aus der Festivalsaison 2018. Filme, die auf Festivals Preise gewonnen haben, werden natürlich gerne von anderen Festivals nachgespielt, so gesehen ist die neue Sektion nichts Neues. Ein großes Plus ist allerdings, dass DOK Leipzig nicht einfach nur die Filme ins Programm hievt, sondern die FilmemacherInnen dazu holt und dem Publikum in öffentlichen Podiumsgesprächen nahebringt. So werden Vitaly Mansky, Victor Kossakowsky und Adina Pintilie zu Gast sein. Letztere hat mit ihrem Film Touch me Not bei der diesjährigen Berlinale den Goldenen Bären gewonnen – und Filmkritik und Publikum gespalten. Die rumänische Regisseurin wird im öffentlichen Gespräch mit Festivalleiterin Leena Pasanen unter dem Titel „The Body as a Gift“ auch über ihren kontrovers aufgenommenen Film diskutieren.
Seit nun schon vier Jahren zeigt DOK Leipzig nicht nur Dokumentar- und Animationsfilme, sondern präsentiert in der Sektion DOK Neuland auch interaktive Arbeiten. Ein Dutzend VR- und 360°-Filme stehen in diesem Jahr hier auf dem Programm. Längst nicht mehr filmisches Neuland, sondern komplexe (vermehrt auch dokumentarische) Erfahrungen, die immer öfter bei Filmfestivals ihren Weg in die Programme finden (wie z.B. dieses Jahr auch erstmals beim Thessaloniki International Documentary Festival). In Leipzig gilt das aktuelle Festivalmotto Demand the Impossible! auch als Leitgedanke bei DOK Neuland. Das Programm verspricht „Arbeiten, die Nutzerinnen und Nutzer zu Entdeckerinnen und Entdeckern werden lassen: nicht wie Neo in der Matrix, sondern wie Alice im Wunderland“. Man darf gespannt sein!
[Kirsten Kieninger – 21. Oktober 2018]