Zum 25. Festival-Jubiläum schaffe ich es endlich wieder nach Thessaloniki zum internationalen Dokumentarfilmfestival! Hoffentlich. Denn in den letzten Jahren hat sich das jeweils kurzfristig als nicht möglich erwiesen (siehe hier und da). Wenn diesmal nichts mehr dazwischen kommt, wird es mein inzwischen siebenter Besuch in der nordgriechischen Metropole. Die Vorfreude ist groß, denn das diesjährige Programm sieht sehr vielversprechend und vielseitig aus:
Am 2. März 2023 startet die 25. Ausgabe des Thessaloniki International Documentary Festival (TiDF). Los geht es mit der Weltpremiere von La Singla (Regie: Paloma Zapata, 2023 Spanien, Deutschland, 90 Min.) als Eröffnungsfilm, am 12. März 2023 wird die Internationale Premiere von My Pet and Me (Regie: Johan Kramer, 2022 Niederlande, 77 Min.) das Festival abrunden. Dazwischen liegen dann zehn Tage mit insgesamt 237 Dokumentarfilmen (Lang- und Kurzfilme), 61 davon griechische Produktionen. Dieses Jahr sind insgesamt 99 Welt- , internationale und Europa-Premieren dabei – so viele, wie noch nie in den letzten 25 Jahren.
Die klassischen Festivalkinos der Stadt sind für sich schon sehenswert: das historische Olympion, direkt am Aristotelous Square, dem Hauptplatz der Stadt vis-a-vis der Hafenpromenade, sowie die neueren Kinosäle in ehemaligen Hafengebäuden direkt auf dem Pier. Tritt man dort nach der Vorstellung aus dem Kinosaal, dann blendet direkt vor den Füßen die Sonne auf dem Wasserund mit etwas Glück – wenn die schneebedeckten Gipfel über dem Meer im Dunst auftauchen – findet man sich im Angesicht des Olymp.
Unweit des Hafens liegt der Bahnhof. Von hier fuhr am 15. März 1943 der erste Zug aus Thessaloniki in Richtung Auschwitz. 80 Jahre ist es heute her, dass die deutsche Wehrmacht die große jüdische Community der multikulturellen Stadt vollständig auslöschte. Das Festival gedenkt dieses Jahrestages mit der Sonderreihe Adio kerida*: From Thessaloniki to Auschwitz – 80 years, die die Schrecken und Verluste dieser traumatischen Zeit vor Augen führt. Mit dabei sind Dokumentarfilme wie Heroes of Salonika (Regie: Tom Parka, 2021) und Salonique, ville du silence (Regie: Maurice Amaraggi, 2006) mit direktem Bezug zu Thessaloniki, aber auch Claude Landmanns epochales Werk Shoa (1985), das in voller Länge von 566 Minuten gezeigt wird, sowie der deutsche Stummfilm Der Golem (Regie: Carl Boese und Paul Wegener, 1920), der live mit Orchester und eigens dafür neu komponierter Musik von Yannis Veslemes aufgeführt wird.
Das Internationale Programm des 25. Thessaloniki International Documentary Festival beinhaltet vier dotierte Wettbewerbs-Sektionen: International, Newcomer (mit Debüts oder Zweitlingswerken), >>Film Forward (mit experimentellen Dokumentarfilmen jenseits von Konventionen) und Immersive: All Around Cinema (mit 360° VR-Filmen).
Die diesjährige Jubliäums-Ausgabe des TiDF bietet eine große Hommage an das Genre des beobachtenden Dokumentarfilms. In der Reihe “The Art of Reality: Beyond Observation”, werden 20 legendäre Filme aus aller Welt und allen Jahrzehnten gezeigt, von Robert Flahertys Nanook of the North (1922) über Frederick Wisemanns Titicut Follies (1967) oder Kim Longinottos and Ziba Mir-Hosseinis Divorce Iranian Style (1998) bis zu Sergei Loznitsas Austerlitz (2016) oder Tamara Kotevskas und Ljubomir Stevanovs Honeyland (2019). (Wobei allerdings schon Robert Flaherty, der ja gerne als der Urvater des beobachtenden Dokumentarfilms gesehen wird, in Nanook of the North Szenen im Inneren des Iglus nachgestellt hat, um besser die Lebensweise der Inuit darstellen zu können … )
Zwei international erfolgreiche zeitgenössische Dokumentarfilmer bekommen während des Festivals den Goldenen Alexander als Ehrenpreis verliehen und werden jeweils mit einer großen Filmreihe präsentiert: der Grieche Stavros Psillakis, dessen Filme oft alltägliche Protagonisten in Ausnahmesituationen begleiten und der Österreicher Nikolaus Geyrhalter, dessen Werk sich in großen Tableaus mit der Rolle des Menschheit auf unserem Planeten auseinandersetzt – sehr unterschiedliche Sujets, aber jeweils so umgesetzt, dass sie den Blick auf die Menschen und auf die Umwelt verändern. In Diskussionsrunden und einer Masterclass werden beide direkten Einblick in ihre Arbeitsweisen geben.
Neben anderen vielfältigen Diskussionsrunden und Masterclasses steht auch Kunst und Kultur auf dem Programm. Die Europäische Kulturhauptstadt 2023 Eleusis/Elefsina wird während des Festivals in Thessaloniki präsent sein, mit bekannten Künstlern und Kunstwerken, via Video-Kunst und in Filippos Koutsaftis‘ dokumentarischem Filmessay Mourning Rock (2000), der Eleusis als mystischen Ort porträtiert, der von der Industrialisierung überrollt wurde. Außerdem steht ein 3-tägiges Live-Kino Projekt mit Filmmarathons und Performances an. Es werden lebendige und vollgepackte 11 Tage werden, sowohl vor Ort als auch als Online-Event auf online.filmfestival.gr.
[EDIT: wegen des tragischen Zugunglücks, das sich in der Nacht auf den 1. März auf der Strecke zwischen Athen und Thessaloniki ereignet hat, wird das Festival am 2. März ohne feierliche Eröffnungs-Veranstaltung und Party-Events starten. Meine Gedanken sind mit bei Opfern …]