James Baldwin und der ganz aktuelle Rassismus in den USA
Als Kind waren Gary Cooper und John Wayne seine Helden. Als Cowboys, die in Filmen Indianer abknallten, hat er sie bewundert. Bis ihm eines Tages klar wurde, dass in der amerikanischen Wirklichkeit sein Platz auf Seiten der Indianer ist; dass John Wayne und Gary Cooper weiß sind, er aber schwarz ist. Dieses Erwachen in die politische Realität der Rassendiskriminierung traf den jungen James Baldwin wie ein Schock – und die Beschäftigung mit Rassismus sollte zum Lebensthema des vor bald 30 Jahren verstorbenen US-amerikanischen Schriftstellers werden.
Wie scharf – und wie zeitlos – James Baldwins Analysen der rassistischen Mechanismen der Gesellschaft waren, führt nun Raoul Pecks Film I Am Not Your Negro aufs Eindrücklichste vor Augen. Diesen vielfach ausgezeichneten und oscarnominierten Film einen Dokumentarfilm zu nennen, greift zu kurz. I Am Not Your Negro ist ein Stück Literaturgeschichte, ein wichtiges historisches Zeitdokument, ein kraftvoller aktueller Essay, und nicht zuletzt eine wütende Ansage zum Stand der Dinge in den USA, verpackt als Hommage an einen großen Schriftsteller.
„Geschrieben von James Baldwin“, so ist im Vorspann des Films zu lesen. Und tatsächlich sind es die Worte aus Baldwins Mund und Feder, die das starke Rückgrat dieses mit vielfältigem Archivmaterial, Talkshow-Clips und treibendem Soundtrack beeindruckend Muskelbepackten Films bilden.
Baldwin in Person ist in verschiedensten öffentlichen Auftritten und TV-Ausschnitten aus den 1960ern zu sehen und zu hören: analytisch, hellsichtig, zornig, polemisch und der Situation überdrüssig. So sitzt er 1968 in der Dick Cavett Show und sagt: „Die Zukunft des Schwarzen in diesem Land ist exakt so strahlend oder so düster, wie die Zukunft des Landes.“ Zu diesem Zeitpunkt waren gerade innerhalb von fünf Jahren drei seiner Freunde erschossen worden: Medgar Evers, Malcom X und Martin Luther King. Baldwin selbst hat sich nie als Protagonist, sondern als „Zeuge“ der schwarzen Bürgerrechtsbewegung definiert. So beschreibt er es 1979 in einem Brief an seinen Verleger, in dem er ein Buch über diese Zeit ankündigt. Remember This House hat Baldwin jedoch nie fertiggestellt. Es existieren lediglich 30 Seiten Manuskript. Es sind seine Worte aus diesem unveröffentlichten Manuskript, aus dem einleitenden Brief und auch aus seinen veröffentlichten Werken, die den Film zum pulsieren bringen. Schauspieler Samuel L. Jackson spricht sie nicht nur, er verkörpert Baldwin auf der Tonspur mit Herz und Seele. So wird eine Szene, in der Regisseur Raoul Peck historisches Archivmaterial von Polizeigewalt gegen Schwarze mit zeitgenössischem Material aus Fergusson verschneidet und mit Baldwins Worten koppelt, zu einem starken zeitlosen Statement. Der ganze Film ist dank Baldwins sezierender Worte und Pecks Regieleistung ein Augenöffner in Sachen historischer Zuschreibungen und medial verfestigtem Rassismus. Ein wichtiger, genau der richtige Film in Zeiten eines US-Präsidenten, dem in seiner Rede zum Black History Month nichts anderes einfiel, als zu sagen: “Ihr habt alle vor einer Woche über Dr. Martin Luther King lesen können, als jemand behauptete, ich habe die Statue aus meinem Büro entfernt und sich herausstellte, dass das fake news war.“
In den USA ist I Am Not Your Negro jetzt angelaufen, in Deutschland kommt der Film am 30. März bundesweit ins Kino.
[Kirsten Kieninger, zuerst erschienen in der RNZ vom 18.3.2017]