Ein Gespräch mit der Regisseurin und Drehbuchautorin Maggie Peren anlässlich des Kinostarts ihres Filmes Die Farbe des Ozeans. Das europäische Drama um illegale Migranten, die auf den Kanarischen Inseln stranden, erzählt eine komplexe Geschichte von hilflosen Helfern, in der sich die Wege des westafrikanischen Migranten Zola (Hubert Koundé) und seines kleinen Sohnes, der deutschen Touristin Nathalie (Sabine Timoteo) und des spanischen Polizisten José (Alex Gonzales) folgenreich kreuzen.
Die Farbe des Ozeans feierte auf dem Internationalen Filmfestival in Toronto Weltpremiere und lief bei den Festivals in Hof und Saarbrücken. Der mehrfach ausgezeichnete Film ist nach der Komödie Stellungswechsel die zweite Regiearbeit von Maggie Perren. Die 1974 in Heidelberg geborene Schauspielerin und Filmemacherin war als Drehbuchautorin u.a. an Dennis Gansels Napola und Detlev Bucks Hände weg von Mississippi beteiligt.
DIE FARBE DES OZEANS | Buch & Regie: Maggie Peren | Deutschland, Spanien 2011
Von der ersten Idee bis zum verfilmten Drehbuch war es ein langer Weg. Kannst du ein wenig zur Entstehungsgeschichte von Die Farbe des Ozeans erzählen?
Am Anfang war meine Hauptfigur eine französische Journalistin. Es gibt tatsächlich einen Journalisten, der mit einem Peilsender auf so ein Boot gegangen ist und eine Reportage darüber gemacht hat. Wenn das Boot gesunken wäre, hätte er SOS funken können. Das fand ich irgendwie extrem. Ich habe dann eine Französin gehabt, die auch so etwas macht… Das Problem war aber: Diese Journalistin hatte so einen Wissens-Vorsprung und irgendwie hatte das auch etwas skrupelloses. Wenn man sich auf so ein Boot begibt, von denen sehr viele untergehen und die Journalistin sitzt da drin mit ihrer Rettungsweste und Sender.
Irgendwann dachte ich mir: was ich da erzähle ist doch nicht meine Haltung zu dem Film. Ich möchte keine Journalistin zeigen, die da viel Elend erlebt und am Schluss vor einem toten Menschen steht. Ich wollte lieber eine Weichwerdung erzählen. Ich habe mich dann entschieden, eine Parabel zu erzählen.
Hast du viel recherchiert für den Film?
Ja sehr. Am Anfang viel übers Internet. Erstaunlich, was man da alles erfährt. Dann durfte ich meinen ersten Film Stellungswechsel – das ist eine Komödie – in Madrid zeigen. Dort habe ichüber ein Zentrum für Immigranten viele Senegalesen kennengelernt, die auf solchen Booten waren. Die meisten kamen über die Route Mauretanien – Teneriffa, nur drei über Mauretanien – Gran Canaria. In Gran Canaria waren die Flüchtlinge in Tennishallen untergebracht, in Teneriffa wurden alte Gewächshäuser einer Bananen-Plantage umgebaut. Das Lager war dort vom Militär organisiert, das ist aber eine Ausnahme. Eigentlich macht das die lokale Polizei. Leute, die gestern noch Strafzettel ausgefüllt haben, entscheiden plötzlich über das Schicksal von Flüchtlingen.
Als du das Thema für dich entdeckt hast, war dir von Anfang an klar, du machst einen Spielfilm daraus?
Ich bin eben eine Spielfilmregisseurin. Ich denke jetzt im Nachhinein, dass ich mit dem recherchierten Wissen wahrscheinlich auch einen Dokumentarfilm darüber hätte machen können. Ich musste ja einen Berg Wissen zur Seite schieben, um eine Spielfilmtauglichkeit zu haben. Aber ein Spielfilm lebt von Konflikten, und nicht davon, dass du den Zuschauer mit deinem Wissen überhäufst.
Was denkst du über die Wirkung von Spielfilm vs. Dokumentarfilm, wenn man so ein politisches Thema hat und Leute erreichen will?
Mit Dokumentarfilm kann man … (unterbricht sich) Nein, das kann man nicht so sagen. Also: Hätte ich einen Dokumentarfilm gemacht, wäre das eine sehr verkopfte, mit Informationen überladene Angelegenheit gewesen. Ich glaube aber, dass man langfristig Leute darüber erreicht, wenn sie eine Empathie für etwas empfinden. Und ich merke schon, dass der Film aufweicht. Das habe ich in Toronto stark gemerkt. Dort waren sehr viele Afrikaner im Publikum, sie waren extrem aufgeweicht von dem Film und haben sich Gedanken gemacht. Vielleicht ist es aber auch so, dass man sich leichter über etwas Gedanken machen kann, was weiter weg ist. Dass es uns leichter fällt über Guantanamo nachzudenken und einem Kanadier leichter fallt über etwas nachzudenken, was nicht direkt vor der Haustür ist
Der Film lief auch bei anderen internationalen Festivals. Gab es große Unterschiede zu den Publikumsreaktionen in Deutschland?
In Spanien haben die Leute überhaupt kein Problem damit, dass Josés Schwester drogenabhängig ist und einen schwarzen Freund hat, der Dealer ist. Hier finden viele das ein unerhörtes Klischee, dass man behauptet, dass ein Schwarzer mit Drogen handelt. In Deutschland war das wirklich so: „ja muss das jetzt sein“ und „muss die jetzt Drogenabhängig sein“.
Warum hast du dich nicht auf die Geschichte mit der Touristin und den Flüchtlingen konzentriert, sondern auch noch José und seine Schwester und Nathalies Probleme mit ihrem Freund erzählt?
Ich wollte eine Geschichte erzählen von hilflosen Helfern und nicht die Geschichte von einer gescheiterten Helferin. Hätte ich die Geschichte einer gescheiterten Helferin erzählen müssen, wäre das wohl eher ein Lars von Trier Film geworden über eine Frau, die Gutes will und all ihr Handeln zum Schlechten führt. Als ich mich entschieden habe, eine Parabel zu erzählen, musste ich auch zwei Menschen komplett auserzählen. Ich erzähle praktisch zwei komplette Welten. Ich erzähle den José mit seiner ganzen Welt, in der er gefangen ist. Ich wollte auch von „gefangen sein“ erzählen. Wenn man die erste Szene sieht: José wohnt in seiner eigenen Wohnung fast wie in einem Gefängnis. Die Nathalie in dieser Bettenburg ja auch. Und beide sind extrem unfrei in ihren menschlichen Beziehungen. Und die beiden Paare fand ich auserzählenswert.
Wie war denn die kreative Auseinandersetzung mit den Redakteuren der beteiligten Sender?
Sie wussten, welche Filme ich liebe. Wenn bei Pedro Almodóvars Alles über meine Mutter eine Nonne von einem Transvestiten ein Kind kriegt, dann Aids hat und stirbt, finde ich das nicht übertrieben. (lacht).
Wenn du eine Sachen sehr emotional erzählst, dann verbringst du allerdings viel Arbeit damit, dass die Schauspieler eine Realität entwickeln. Ich kann jetzt z.B. nicht erzählen der hat eine Junkie-Schwester und spritzt sie, wenn ich nicht mindestens vier Tage mit den Schauspielern geprobt habe, was es bedeutet, einen Junkie als Schwester zu haben.
Dasmag ich so bei Almodóvar. In Alles über meine Mutter glaubt man ja keine Sekunde nicht, dass das eine Nonne ist, die da von dem Transvestiten schwanger ist. Almodóvar hat das so schön gesagt: Man kann alles erzählen, wenn man den Zuschauer bei der Hand nimmt. Das ist ein guter Satz.
Hattest du Angst vor Klischees?
Nein. Ich wollte eine Geschichte über hilflose Helfer erzählen und ich finde, der hilfloseste Helfer überhaupt ist der nächste Verwandte eines Drogenabhängigen.
Mich hat der Film von in seiner Erzählstruktur sehr an Iñárritu erinnert. Ein Vorbild?
Ja, oder auch Lichter. Ich liebe beide. 21 Gramm liebe ich und ich finde Lichter wirklich sensationell. Mein absoluter Lieblingsfilm von Hans-Christian Schmid. Ich finde, man kann sehr vielschichtig erzählen, wenn man mehrsträngig erzählt.
War bei der Arbeit am Drehbuch schnell für dich klar, dass du mehrsträngig erzählen willst?
Am Anfang war das eine reine Nathalie-Geschichte. Als ich sie dann zur Urlauberin gemacht habe, wurde sie allerdings ein bisschen schwächer. Das war mir dann zu wenig, dass sie neunzig Minuten damit ringt, ob sie Geld gibt oder nicht. Und dann habe ich beschlossen, dass ich sie und den Polizisten quasi bipolar gegenüberstelle. Den Polizisten und seine Schwester gab es schon immer. Allerdings war das nur eine Szene und nicht in der Aufwendigkeit erzählt.
Gab es noch andere Vorbilder für deinen Film, die du dir vorher nochmal angeschaut hast?
Auf jeden Fall. Schmetterling und Taucherglocke. Und ich hatte Amadeus von Miloš Forman dabei. Salieri ist ja kein sympathischer Mensch und dennoch rührt er einen. Und weil ich immer Angst hatte bei José, dass er einen nicht berührt, habe ich mir oft Amadeus angeguckt als Vorbild für eine extrem ambivalente Figur.
Es gibt es zur Zeit einige Filme, die sich mit dem Thema der Flüchtlingsströme nach Europa auseinandersetzen. Le Havre von Kaurismäki z.B. oder Implosion von Sören Vogt.
2006 war das Thema ja viel in den Medien. Filmemacher suchen ja immer nach Extremen. Mich hat das auch aufgewühlt, aber nicht genug, um mich sofort hinzusetzen und zu schreiben. Aber als ich dann den Dokumentarfilm We feed the world gesehen und gemerkt habe, dass wir in Westafrika ganze Märkte zerstören, wollte ich unbedingt etwas über die Westroute der Flüchtlinge machen.
War es schwierig, den Film zu finanzieren?
Ja. Die Finanzkrise 2008 hat sich auch in den Sendern bemerkbar gemacht. Da haben wir einfach eine schlechte Zeit erwischt.
Gab es in der Drehbuch-Phase noch gar keine Finanzierung?
Nein. Ich habe das erst mal geschrieben und dann sind wir losgegangen und haben versucht, dafür Leute zu gewinnen. Wir haben dann einfach eine Politik der kleinen Schritte gemacht: Wir hatten viele Geldgeber, die haben aber jeweils relativ wenig gegeben. Insgesamt hatten wir 1,7 Millionen – das ist soviel wie ein Tatort.
Hast du mit den Schauspielern vorher geprobt?
Ja, sehr viel. Wir waren auch mit Alex Gonzales und Nathalie Poza bei der Polizei. Fast alle spanischen Schauspieler haben einen Dialektcoach gehabt. Hubert hatte jemanden aus dem Kongo, der mit ihm gearbeitet hat. Die Proben waren toll. Wir haben eine Woche allein in Spanien geprobt, dann hatten wir 5 Tage in Berlin. 2 Wochen Probenzeit ist verdammt viel, wenn man nur 30 Tage dreht.
Du bist selbst auch Schauspielerin, würdest du auch unter eigener Regie vor die Kamera treten?
Ich spiele nicht mehr. Ich habe aber Respekt davor, wenn man vor der Kamera und hinter der Kamera gleichzeitig ist. Ich wüsste gar nicht, wie das gehen soll. Aber ich finde auch, wenn man einmal Regie geführt hat und merkt, was das für ein komplexer Beruf ist und wie schön das ist, dann ist die Schauspielerei für mich vergleichsweise langweilig.
Aber die Schauspielerei war schon der Punkt, durch den du ursprünglich zum Film gekommen bist?
Ein bisschen ja. Ich habe eigentlich schon immer beides parallel gemacht, Schauspielerei und Schreiben. Ich habe ja am Anfang oft Sachen geschrieben, in denen ich dann auch mitgespielt habe.
Was war die Initialzündung für das erste Mal Regie führen?
Als Schauspielerin habe ich bei einer Gruppenproduktion bei der HFF München mitgespielt und plötzlich gemerkt, wie viele Gedanken ich mir darum mache, wie ich das jetzt machen würde. Nicht weil ich der Meinung war, dass ich das besser kann. Einfach, weil ich gemerkt habe, wie viele Interpretationsmöglichkeiten es da gibt. Drei Jahre zuvor dachte ich noch: Ach wie lästig, da muss man sich jetzt überlegen, wo man die Kameras hinstellt. Das hat sich von einem Jahr aufs andere plötzlich geändert. 2003 war mir plötzlich klar, dass mich das interessiert.
Und du hast dir das von Anfang an auch zugetraut?
Nein. Ich habe bei Lene Beyer, einer Dänin die an der Filmhochschule in München unterrichtet, lernen dürfen wie man Schauspieler inszeniert. 2 Jahre lang habe ich das gemacht und habe dabei gemerkt – und bei meinem ersten Film noch viel mehr – alle Schauspieler sind anders. Wenn man eine Art von Schauspielerei kennt, heißt das jetzt nicht, dass man alle kennt. Und ich glaube, der Prozess hört auch nicht auf. Ich war jetzt wirklich viel sicherer im Umgang mit den Darstellern als bei Stellungswechsel, obwohl ich diesmal die vielen Sprachen hatte. Ich habe auch viel mehr geprobt.
Deine Regiearbeiten waren beide Male eigene Bücher von Dir, das eine mit Co-Autor. Würdest Du gerne ein fremdes Buch verfilmen wollen?
Ja total. Das wäre mein großer Traum. Ich gehe zum Briefkasten und da liegt ein Super-Buch. Ich komme an das Set eines gut finanzierten Films, es gibt leckeres Essen, man kann drei Wochen proben. (lacht) Ja, das wäre großartig.
Seit du selbst Regie führst, wie ist es für dich, wenn andere Leute deine Drehbücher verfilmen?
Das ist so ein Synergieeffekt, den Autor und Regisseur haben, der ja leider wegfällt, wenn man seine eigenen Bücher macht. Deswegen ist es eigentlich toll, wenn ein Regisseur kommt und dir Input gibt. So musst du erst schreiben und dann musst du nochmal innerlich den Motor anschmeißen und dein eigenes Buch interpretieren. Es ist eigentlich besser, wenn man das trennt. Ich bin nicht so begeistert vom Autorenfilm, weil da viel wegfällt. Zwei Menschen haben zusammen einfach mehr Ideen, als nur einer.
Filme entstehen ja dreimal: zum ersten Mal beim Schreiben, zum zweiten Mal beim Drehen. Wie verhältst du dich beim dritten Mal, beim Schneiden?
Ich lasse dem Cutter schon viel Freiheit. Ich hatte beide Male Glück, dass ich Cutter hatte, die ein gutes Auge haben. Ich habe mit ihnen zusammen mehr dramaturgisch überlegt, was könnte man ändern. Zum Beispiel sind es im Film drei Erzähltage, im Buch waren es vier. Einen Erzähltag haben wir rausgeschnitten. Es stimmt, dass im Schnitt der Film noch mal neu entsteht.
Was hast du als nächste Projekte vor? Auf jeden Fall Schreiben?
Schreiben ist ja mein Beruf. Ich muss damit Geld verdienen. Also schreibe ich jetzt natürlich wieder für Geld. Und ich habe mehrere Angebote bekommen, fremde Bücher zu inszenieren. Aber ich habe einen 18 Monate alten Sohn und wenn man Regie macht ist man so viele Stunden von zu Hause weg. Deshalb habe ich das jetzt erstmal abgesagt.
Die Angebote waren ja sicher nicht nur Komödien, jetzt nach diesem Film. Du hast vorher ja viel Komödie gemacht.
Das war schon sehr breit gefächert. Ein paar mal war ich schon traurig, als ich angerufen und gesagt habe, dass ich das jetzt nicht machen kann. Ich werde wieder drehen, wenn ich meinem Sohn erklären kann, was ich mache. Wenn er begreift, wieso ich so viel weg bin.
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Filmdaten:
Titel: Die Farbe des Ozeans
Produktionsland: Deutschland, Spanien
Produktionsjahr: 2011
Länge: 95 Min.
Verleih: Movienet
Kinostart: 17.05.2012
Regie: Maggie Peren
Drehbuch: Maggie Peren
Kamera: Armin Franzen
Montage: Simon Blasi
Hauptdarsteller: Sabine Timoteo, Hubert Koundé, Friedrich Mücke, Álex González, Nathalie Poza