Die Kunst des ruhig Sitzens in dunklen Räumen – oder: die Berlinale Traumata Revue
Ich bin Berlinale geschädigt. Immer noch. Ich hoffe nicht bleibend. Daher auch dieser Text. Zur persönlichen Traumabewältigung sozusagen. Schuld sind übrigens die professionellen Filmkritiker.
How to be a clever filmcritic (Ausschnitt)| Matt Groening
Ich habe mich dieses Jahr aus organisatorischen Gründen – auch ausreichend Schlaf will eingeplant sein – entschieden, mich nicht frühmorgens um Tickets zu bemühen. Stattdessen habe ich fast alle der 45 Filme, die ich gesehen habe, in eigens ausgezeichneten Pressevorführungen gesehen. Da sitzen die Professionellen. Die Pressevertreter und im Falle der Wettbewerbsfilme auch die Jurymitglieder. Mit Isabella Rosselini (Juryvorsitzende 2011) morgens um 9 im Berlinale Palast zu sitzen ist mir sehr angenehm. Allerdings sitzen dort auch noch bis zu 1598 andere Menschen, wenn der Laden richtig voll ist. Und spätestens zur Pressevorführung Mittags um 12 brummt es dort tatsächlich wie im Bienenstock. Wenn man dann am frühen Nachmittag bis spät am Abend hinein noch in 3 weitere Vorführungen ausfliegt, dann ergibt das innerhalb von 10 Tagen eine geballte Dosis Kino, die mit nicht unwesentlichen Nebenwirkungen daherkommt. Denn man verbringt seine Zeit ja schließlich nicht allein mit den Filmen, sondern gemeinsam im Publikum. Auch das professionelle Publikum besteht bei Licht betrachtet nur aus Menschen. Im fahlen Licht der Leinwand allerdings entfaltet diese besondere Spezies des Filmfestival-Zirkus ein erstaunliches und vielfältiges Eigenleben. Ich könnte da Geschichten erzählen. Stattdessen: „Die Schnittmeisterin proudly sufferingly presents 10 Highlights aus dem Kinodunkel inklusive praktischer Besserungsvorschläge zur Minimierung der zwischenmenschlichen Interferenzen während der Filmvorführung“
Also, liebe Kollegen, nichts für ungut – here we go:
- Ständige starke Tritte in die Rückenlehne, die auch nach mehrmaliger freundlicher Abmahnung nicht aufhören, werden allein durch die Tatsache, dass sie mit feinem italienischen Lederschuhwerk ausgeführt werden, nicht angenehmer. (Schöne Grüße an den sehr gut gekleideten, intellektuell wirkenden, distinguierten älteren
HerrenRüpel hinter mir!) - Eigentlich ja schön, dass sich viele Kollegen untereinander kennen und sich gerne austauschen. Nur während einer Filmvorführung (auch wenn es eine Pressevorführung ist) nervt eine engagiert diskutierende Vierer-Phalanx eine Reihe weiter hinten gewaltig. Filmkritiker besprechen von Berufs wegen Filme. Soweit mir bekannt ist, geschieht dies jedoch medial und vor allem erst nach der Filmvorführung. Vielleicht waren die vier Verdächtigen in diesem Fall ja Hörfunkjournalisten und Teilnehmer des Modellversuchs „Simultan-Experten-Gespräch-zum-Film“ – wer weiß. Grundsätzlich aber gilt: Eine Pressevorführung ist kein Presseclub zum Plaudern. Ihr könnt euch ja hinterher auf einen Kaffee treffen und munter und engagiert drauflosdiskutieren oder frei von der Leber weg mäkeln, oder besser noch: den Film erstmal sacken lassen und dann eine wohl überlegte, fundierte und bitte schön gut geschriebene Besprechung abliefern. Davon haben dann auch deutlich mehr Leute etwas, als nur die zufällig Umsitzenden im Kino.
- Wenn ein Film gar nicht gefallen will, steht es übrigens einem jedem frei, das Kino sofort zu verlassen. Sofort – und nicht erst nach minutenlangem Füßescharren, Rumgestöhne und anderen lauten Unmutsbekundungen. Oder aber man harre still aus und gebe dem Film noch eine faire Chance.
- Draußen vor dem Kinosaal ist es übrigens hell. Dort kann man auf der Suche nach dem nächstbesseren Film, in den man sich flüchten will, ohne Probleme in einem oder allen seinen unzähligen knisternden Programmheftchen blättern. Dazu braucht man draußen vor dem Kinosaal praktischerweise weder eine Taschenlampe, noch sein Handy als Beleuchtungshilfe. Daher gilt: Geht gefälligst raus!
- Falls ihr nicht rausgehen könnt, weil ihr den Film sehen müsst, um eine Besprechung desselben abzuliefern, dann kann ich euch beruhigen: Die Filmemacher haben den Film nicht absichtlich vergurkt, um euch eins auszuwischen und euch das Leben schwerzumachen. Im Gegenteil, hier haben Dutzende von Leuten mehrere Monate oder gar Jahre ihres Lebens investiert. Diese Arbeit darf man respektieren, auch wenn man mit dem Ergebnis persönlich nichts anfangen kann.
- Wenn man – sagen wir mal – seit einem gefühlten Vierteljahrhundert professionell fast mehr Filme pro Jahr guckt, als dasselbe Tage hat, dann wird man mit der Zeit sicherlich unleidiger bei all den schlechten Filmen, die unweigerlich auch darunter waren. Das ist aber kein Grund dafür, während ein neuer Film gerade zum ersten Mal über die Leinwand flimmert, diesen ungehalten zu kommentieren (hier gilt wiederum Punkte 3 und 5). Das ist nicht professionell. Man stelle sich einmal ein Großraumbüro voller kaufmännischer Angestellter vor, die ihre alltägliche Arbeit mit den Exceltabellen laut kommentieren: „So ein Scheiss“, „Das macht ja keinen Sinn“ „Das war ja voraussehbar, das das am Ende rauskommt“…
- Mitschreiben während des Films ist in Kritikerkreisen gängige Praxis. Die sozial kompetenteren unter den Schreibenden begnügen sich dabei mit dem Licht der Leinwand. Andere allerdings legen auch im Kino wert auf saubere Zeilenführung und nehmen ein Licht zu Hilfe. Denen würde ich gerne mal ins Hirn leuchten.
- Mit gespitzter Feder dazusitzen ist an sich eine gute Haltung für einen Journalisten und verursacht keine Störgeräusche. Wohl aber, wenn statt der gespitzten Feder der Druck-Kuli zum Einsatz kommt, der mit metallischem Klick nach jedem Satz gesichert und kurz darauf wieder entsichert wird. Da wünscht man dem Kämpfer der schreibenden Zunft in der Reihe hinter einem schon mal eine akute Lade- und Schreibhemmung.
- Handys sind zugegebenermaßen praktische Arbeitswerkzeuge, die man wirklich Vielfältig gebrauchen kann. Auf Konzerten kommen sie auch gerne als moderne Variante des Feuerzeugs zum Einsatz, denn man kann mit ihnen wunderbar leuchten. Allerdings leuchtet das Display auch dann blendend durchs Dunkel, wenn es seinem Nutzer gar nicht um den Shine-a-light-Effekt geht, sondern er nur eben mal Kommunizieren oder Konsumieren möchte. Denn diesem Drang scheinen viele auch während der Film läuft nicht ganz widerstehen zu können, so dass es in manchem Kinosaal zeitweise fast aussieht wie beim Schmusesong-Highlight eines Scorpions-Konzerts. Auch ohne die Musik und gerade im Kino kein schöner Anblick. Und ich wäre auch wirklich lieber bei einem Scorpions-Konzert, als jemanden im Kino telefonieren zu hören.
- In den Pressevorführungen im Berlinale Palast ist das Essen übrigens verboten. Das Verbot wird auch nicht durch das Erlöschen des Saallichtes außer Kraft gesetzt, wie einige Ungefrühstückte gerne glauben. Mein Vorschlag zur Güte: Wenn ihr schon keine 2 Stunden ohne feste Nahrung auskommt, dann greift am besten zu Mandarinen. Die sind im Februar besonders lecker und verbreiten einen angenehm frischen Geruch, der tatsächlich hilft, die Ausdünstungen der gegen Ende des Festivals leider auch vermehrt auftretenden Ungewaschenen zu überdecken.
Abschließend noch meine Bitte an alle, die während des Festivals nicht genügend Schlaf einplanen, bzw. nicht zur nächtlichen Durchführung desselben kommen: Könnt ihr im Vorfeld bitte mit euren jeweiligen Bettpartnern abklären, ob ihr während des Schlafs störende Geräusche verursacht?! Falls ja, ist ein Nickerchen in einer Filmverführung nämlich keine Alternative für euch!
Mein Dank gilt an dieser Stelle übrigens allen, die sich auch im Dunkeln zu benehmen wissen! Ansonsten: Gute Besserung und bis zum nächsten Mal im Kinosaal!
Wunderbar! Sehr schön geschrieben 🙂