Eine kritische Safari durch den Berlinale Dschungel – viele Filme, viele Tiere, kaum Bären
Der heimliche Star der 61. Berlinale: Das Nilpferd – aufgetaucht in mindestens 4 Filmen
Die Bären der Internationalen Filmfestspiele Berlin 2011 sind längst vergeben. Der Zirkus ist vorbei, Filmvögel und Presseherde haben die Manege schon lange verlassen. Doch die Nilpferde haben bleibenden Eindruck hinterlassen.
Doch der Reihe nach mit dem Jägerlatein: Mein Streifzug durch den Berlinale-Dschungel mit über 400 programmierten Filme war rein quantitativ betrachtet äußerst erfolgreich: 45 Kerben hätte ich mir stolz in meine müden Augäpfel schlagen können, für ganze 45 gesehene Filme. Darunter war ungeahnt viel Tier-Content: etwa ein Dutzend Pferde (darunter ein ganz existentialistisches, das sogar bei Nietzsche Erwähnung findet), unzählige Rindviecher, 5 Hunde (einer davon verstorben), 3 Katzen (eine davon sprechend), 4 Nilpferde und 1 Werwolf und vieles mehr. Eine gut gemischte Ausbeute. Allerdings war das erhaschte Film-Fleisch insgesamt sehr durchwachsen. Besonders im Wettbewerb war die Tendenz in dieser Saison insgesamt eher haarig statt bärig. Weitere sprichwörtliche Haare, die den Genuss des 10tägigen Festival-Treibens beeinträchtigten, stammten vom oft saumäßigen Benehmen einiger schwarzer Schafe in der 4.000-köpfigen Journalisten-Herde. Die habe ich aber inzwischen schon ordentlich abgebürstet.
Also begeben wir uns jetzt direkt auf die Fährte der Tiere, die sich ihren Weg über die Leinwände bahnten und eine schwergewichtige Nilpferdparanoia sowie eine ausgeprägte Katzenallergie nach sich zogen:
1. Das Nilpferd (Hippopotamus amphibius, auch Flusspferd genannt)
Am zweiten Festivaltag hatte es seinen ersten unvermittelten Auftritt. Mitten im Wettbewerb. In Schlafkrankheit von Ulrich Köhler. Gerade sind Darsteller, Kamera und Film durch den stockdunklen afrikanischen Dschungel geirrt. Ein Schuss zerreisst das Schwarz. Es wird wieder Tag. Da trottet es langsam und computergeneriert von rechts ins Bild: Das Nilpferd. Ein dramaturgisch klug kalkulierter Auftritt – ausgezeichnet mit dem Silbernen Bären für die Beste Regie.
Einen Tag später gibt es dann Grund zum Augenreiben. Nicht weil die 3. Dimension, in die Wim Wenders mit seiner wunderbaren Tanztheater-Hommage Pina hervorstößt, unangenehm ins Auge stechen würde. Im Gegenteil: Die Tänzer durchmessen in den kongenial filmisch in Szene gesetzten Choreografien Pina Bauschs den Raum, dass es eine Augenweide ist. Der Einsatz von 3D macht hier über den puren Show- und wow- Effekt hinaus zum ersten Mal wirklich Sinn und lässt ganz nebenbei die Schwebebahn in Wuppertal erhabener aussehen als die Weltraumgleiter in Avatar. Und während der Zuschauer im Raum schwelgt, da passiert es unvermittelt. Es wirkt zuerst fast wie ein Déjà-vu: Da ist es tatsächlich, das Nilpferd, jetzt an der Seite einer Tänzerin. Diesmal mit handgemachtem Körper, majestätisch raumgreifend in 3D.
THE GUARD | Irland und kein Schaf in Sicht, auch das Nilpferd sieht man nicht
Ganz unscheinbar und gänzlich unsichtbar kam das Nilpferd dann im Panorama daher. Ich habe es auch nur gebührend wahrgenommen, weil ich kurz nach dem Abitur eine 4-wöchige Tramptour rund um Irland unternommen habe. Ich hätte nie gedacht, dass mir diese arbiträre Tatsache Jahre später einmal das sprachliche Verständnis und damit den Genuß eines der unterhaltsamsten Filme im Programm der diesjährigen Berlinale ermöglichen würde: The Guard konfrontierte die Zuschauer mit heftigem irischen Zungenschlag, gänzlich ohne helfende Untertitel dargeboten, weshalb der gleichermaßen spitzzüngig und schräg daherkommende, wohltuend politisch unkorrekte Humor an vielen Zuschauern glatt vorbeiging. So konnte sich auch das Nilpferd im Dialog weitestgehend unbemerkt vorbeischleichen . Und das, obwohl sogar ein Affe darauf ritt.
In Miranda Julys Wettbewerbsbeitrag The Future landet das Nilpferd schließlich als Nippes auf der Kommode. Gleich in 3-facher Ausführung. Eine sehr schöne Reminiszenz an die drei anderen Auftritte! In der Hauptsache jedoch ist der Wettbewerbsbeitrag The Future ein Vehikel für einen herausragenden Vertreter einer ganz anderen Tierart:
2. Die Katze (Felis silvestris catus):
Die Katze in Miranda Julys Wettbewerbsbeitrag The Future heißt Pawpaw. Tatsächlich bekommt der Zuschauer von ihr auch nicht mehr zu sehen als ihre Pfötchen. Dass die eine Pfote verletzt ist, hindert Pawpaw nicht daran, seine Überlegungen gestisch pointiert zu untermalen, während sie sie mitteilt. Der erfahrene Kinozuschauer hat ja sogar schon Verstorbene eine Filmhandlung aus dem off kommentieren hören, aber eine sprechende Katze? Unerhört! Und so bisher noch nicht gesehen. Von Miranda July selbst gesprochen dabei schön schräg und charmant. Eine Katze als Katalysator für die Beziehungs-Dynamik der beiden Protagonisten. Das funktioniert filmisch erstaunlich gut – allerdings nur so lange, bis der Mond auch noch zu sprechen anfängt…
Die Katze im koreanischen Wettbewerbsfilm Saranghanda, Saranghaji Anneunda (Come Rain, Come Shine – Kommt Regen, kommt Sonnenschein) kann nicht sprechen. Sie ist auch noch klein. Ein Kätzchen noch. Deshalb will sie auch nicht so recht als Katalysator für die Beziehungs-Dynamik der beiden Protagonisten funktionieren. Die beiden sprechen übrigens auch kaum miteinander. Sie haben sich nicht mehr viel zu sagen. Gerade haben sie ihre Beziehung beendet. Ganz ruhig. Ganz unspektakulär. Genauso wie der ganze Film. Das Vergehen von Zeit in geschlossenen Räumen in denen sich zwei Menschen aufhalten. Das Kätzchen gehört übrigens den Nachbarn und die sorgen nur für ein kurzes Intermezzo.
Der Katze im Wettbewerbsbeitrag Wer wenn nicht wir von Andres Veiel ist sogar nur der Prolog vergönnt. Nicht mehr als die ersten Einstellungen des Films. Und ihre Rolle ist eher eine metaphorische: Die Katze jagt eben Vögel. So ist das Leben. So ist die Weltgeschichte.
3. Der Hund (Canis lupus familiaris):
Kurz und knapp die zwei wichtigsten Erkenntnisse in dieser Kategorie:
Der Hund aus El Premio von Paula Markovitch heißt nicht Jeans. Der Hund in Margin Call ist zwar zu Beginn des Films schon gestorben, Zeit ihn zu begraben findet Kevin Spacey jedoch erst am Ende des Films, da ihm vorher die Finanzkrise dazwischenkommt: Da liegt der Hund begraben.
TRUE GRIT | Weder Jeff Bridges noch John Wayne sondern der Bär reitet das Pferd
4. Das Pferd (Equus):
Das tragischste Pferdeschicksal lieferte gleich der Eröffnungsfilm der Gebrüder Coen. In True Grit reitet Jeff Bridges am Ende ein Pferd zu Tode, um das Leben der Protagonistin zu retten.
Das preisgekrönte Pferdeschicksal (FIPRESCI-Preis und Silberner Bär – Großer Preis der Jury) im Wettbewerbsbeitrag A torinói ló (The Turin Horse – Das Turiner Pferd) von Béla Tarr ist nicht minder tragisch. Die unerträgliche Schwere des Seins weht schwarzweiß über die Leinwand. Das Pferd schafft es noch mit der Kutsche durch den Sturm in den Stall. Doch es will nicht mehr. Es verweigert Wasser und Futter. Der Kutscher und die Tochter in der Kate nebenan leben von gekochten Kartoffeln und Wasser aus dem Brunnen. Eine karge Existenz. Dann ist der Brunnen trocken, die Kartoffeln sind roh und das Licht geht aus. Große Dunkelheit. Großes Kino. Der Film überspült den Zuschauer mit einer herzergreifenden Hoffnungslosigkeit, die man erst mal ertragen muss, die dann in ihrer existentiellen Konsequenz im Nachhinein jedoch fast beglückend wirkt. Das klingt vielleicht merkwürdig, ist aber eine ganz wunderbare Kino-Erfahrung, wenn auch keine leichte.
A TORINÓI LÓ | THE TURIN HORSE | DAS TURINER PFERD