Gérard Depardieu hat Haare wie der WRESTLER und ringt mit der Vergangenheit
BENOîT DELÉPINE & GUSTAVE DE KERVERN | MAMMUTH | FRANKREICH 2010
Das Gesicht von Gérard Depardieu füllt die ganze Leinwandbreite. Die Worte, die seine Frau (großartig: Yolande Moreau) zu ihm sagt, sind nur zu hören – in seinen Gesichtszügen lässt sich ihre Wirkung ablesen. Sie schickt ihn auf die Reise in seine Vergangenheit.
Serge Pillardosse (Gérard Depardieu) ist gerade von seinen Fleischerei-Kollegen frisch in den Ruhestand verabschiedet worden, aber zur wohlverdienten Renten-Zahlung fehlen noch diverse Nachweise früherer Arbeitgeber. Da das Geld knapp ist, soll er sich auf den Weg machen, diese zu besorgen. Serge ist das nicht unrecht und statt weiter durch die Wohnung zu tigern, entmottet er sein altes Motorrad (eine Münch Mammut aus den 70ern), dem er seinen Spitznamen „Mammuth“ verdankt. Auch Serges Charakter und Auftreten machen diesem Namen alle Ehre: er ist ein gutmütiger tumber Riese mit Zottelhaaren, die bis zum Bauch reichen.
Die Rolle haben die Regisseure Benoît Delépine und Gustave de Kervern (ein eingespieltes Team für Tv-Komödien) Depardieu auf den voluminösen Leib geschrieben und das französische Schwergewicht von Schauspieler vermag in Mammuth wie eine Neuentdeckung zu überraschen. Der Film ist kein stromlinienförmig poliertes Hochglanzprodukt, sondern ist roh und skurril, mit verwaschenen grobkörnigen Bildern, absurden Szenen und beiläufiger Poesie. Mammuth ist manchmal berührend, manchmal zum Schreien komisch, manchmal auch einfach nur schräg. Depardieu trägt diesen Film, sein Serge ist gleichermaßen grobschlächtig und gutmütig, tumb und sensibel. Stoisch erträgt er sein Leben. Über all die Jahre hat er sich mit Arbeit betäubt. Er hat als Türsteher und Totengräber malocht. Jetzt, da er die Stationen seines (Arbeits-)Lebens wieder besucht, begegnet ihm die Vergangenheit wieder. Bilder und Töne von früher werden lebendig. Seine verlorene Liebe (Isabelle Adjani) ist ihm wieder nah. Auf seiner Odyssee wird ihm allmählich klar, wie wenig ihn die Leute respektieren, er wird verhöhnt, beschimpft und bestohlen. Schließlich ist es der Einfluss seiner schrägen Nichte Miss Ming (gespielt von der gleichnamigen Künstlerin), der ihn von der Last der Vergangenheit, die er mit sich herumschleppt, befreit und ihm wieder ein Ziel gibt.
Bei der diesjährigen Berlinale war dieser visuell raue Diamant ein echter Lichtblick.
© Kirsten Kieninger, in anderer Form zuerst erschienen in der RNZ vom 16.09.2010
Filmdaten: