Die wiederentdeckte Einsamkeit des Langstreckenläufers
Benjamin Heisenberg | Der Räuber | Österreich 2009
Szenenapplaus im Kino. Das kommt nicht allzu häufig vor. Bei der Vorführung des Films im Rahmen der Berlinale am 16.02.2010 morgens um 9:30 Uhr im Berliner Friedrichstadtpalast ist es passiert: Das Publikum quittiert die erste – in Bild und Ton – rasante Fluchtsequenz in Der Räuber mit spontanem Beifall.
>> Da ging es vor allem um die Bewegung, das Laufen, die Faszination für jemanden, der sich extrem toll bewegt. Egal, ob ich einen Wolf anschaue in einem Tierfilm oder die Marathonläufer bei den Olympischen Sommerspielen – ich bin fasziniert von der Weichheit, der Kraft, der Eleganz der Bewegung. Diese Bewegungsabläufe von Menschen, die ihr Leben lang trainiert haben, sind wunderschön, und ein großer Teil des Spaßes ist deshalb, so jemanden zu beobachten, der seine Sache gut macht und seiner Natur folgt. Der braucht nicht viel, um schnell durch die Welt zu kommen wie ein Gepard. Diese Faszination haben wir bis zu einem gewissen Grad umgesetzt, zum Beispiel in den Fluchtsequenzen und in seinen Marathonläufen, in denen die Kameraarbeit eine Ähnlichkeit mit der Beobachtung eines Tierfilms hat.<<
Er ist schnell und ausdauernd. Ein gut trainierter Marathonläufer, voller Energie. Allerdings auch voller krimineller Energie, denn Rettenberger ist nur auf Bewährung draußen. Im Knast hat er trainiert wie ein Besessener. Jetzt ahnen weder sein Bewährungshelfer („Mit dem Laufen können Sie doch kein Geld verdienen“), noch die Frau, mit der er zusammenlebt, dass seine Spezialität eine Art Biathlon aus Rennen und Raub ist: Erste Disziplin: Banküberfall, zweite Disziplin: Flucht. Manchmal sucht er diesen Adrenalin-Kick mehrmals täglich. Am Ende wird er um sein Leben laufen.
„Das hat mit dem, was du Leben nennst, gar nichts zu tun“
(Johann Rettenberger)
Der Film beruht auf dem authentischen Fall des erfolgreichen Marathonläufers und Bankräubers Johann Kastenberger, der Ende der achtziger Jahre mit Schrotgewehr und Ronald-Reagan-Maske serienweise Banken überfallen hat und damit als „Pumpgun-Ronnie“ in die österreichische Kriminalgeschichte einging. Regisseur Benjamin Heisenberg (Schläfer) hat für seinen Film Der Räuber zusammen mit Martin Prinz dessen gleichnamigen introspektiven Roman von 2002 adaptiert.
Laut Heisenberg funktioniert der Film wie ein Tierfilm. Und tatsächlich kann der Zuschauer Rettenberger (sehr präzise und intensiv: Andreas Lust) nur dabei beobachten, wie er handelt. Über seine Beweggründe erfährt er nichts. Trotzdem üben seine Besessenheit und die Unbedingtheit, mit der er sich jeder Einflussnahme von außen verweigert, einen Sog aus, der sich auf den Zuschauer überträgt. Rettenberger ist ein Getriebener. Die lähmende Atmosphäre des Alltags, wenn das Leben, das ihn nicht im geringsten zu interessieren scheint, im Stillstand zu ersticken droht, setzt der Film derart beklemmend in Szene, dass es auch für den Zuschauer eine Befreiung ist, wenn Rettenberger wieder losläuft. Und wenn er am Ende wie ein waidwundes Tier von der Polizei durch den Wald gejagt wird, entsteht fast so etwas wie Mitgefühl für diesen unnahbaren Menschen.
Zwar ging der Der Räuber ohne Preis aus dem Wettbewerb der Berlinale, ist in seiner formalen Konsequenz und handwerklichen Präzision aber unbedingt sehenswert.
© Kirsten Kieninger (in Teilen für die RNZett vom 04.03.2010)
„Hier erfüllt sich für mich das Wunder Kino“
Interview mit Regisseur Benjamin Heisenberg über seinen Film „Der Räuber“ und die Berliner Schule auf www.kino-zeit.de
Filmdaten: