Håkon Liu | Schweden 2009 | 88 min.
Kicki und Mr. Chang turteln via skype. Er zieht den Vorhang im Bildhintergrund auf und zeigt ihr die Aussicht vor seinem Fenster: Das grandiose Panorama von Taipeh liegt ihm zu Füßen. Kickis Lebensraum ist weniger präsentabel: zu ihren Füßen stapeln sich die Pizzakartons. Mit Hilfe von Alkohol und Internet tritt sie die abendliche Realitätsflucht aus ihrem tristen Leben in Schweden an. Am nächsten Morgen beseitigt sie die Spuren der hoffnungsvoll trunkenen Nacht. Während sie abspült, zapft sie schon wieder Wein aus dem 5-Liter-Kanister um ihren Kater wegzuspülen. Ein trunkenes, einsames Leben. Doch Kicki hat auch einen Sohn. Viktor ist bei ihrer Mutter aufgewachsen, weil Kicki nach Amerika gegangen ist. Jetzt wohnt sie wieder in Schweden und ihre Mutter kommt miti hm an Kickis Geburtstag zum Anstandsbesuch vorbei. Da sitzen sie dann eher als befangene Fremde, denn als Familie zusammen. Kickis Mutter will ihr eine Brücke zu ihrem Sohn bauen und schlägt vor, dass sie mit ihm auf ihre Kosten eine Reise machen könne. Kicki ergreift die Chance und wählt das Reiseziel: Taipeh. Annähern will sie sich dort allerdings weniger ihrem Sohn, als ihrem Traumprinzen aus dem Internet. Und auch dort kommt sie ohne Alkohol nicht durch den Tag, während sich der Sohn alleingelassen durch die fremde Stadt treiben lässt und mit dem gleichaltrigen Taiwanesen Didi bald einen Begleiter hat. Im Lauf der Ereignisse wird Didi fast nebenbei zum Katalysator der Beziehung zwischen Mutter und Sohn…
Regisseur Håkon Liu sagt, er sei froh, keine Mutter wie Kicki gehabt zu haben. In seinem ersten abendfüllenden Spielfilm steckt trotzdem eine Menge persönliche Erfahrung. Lius Vater stammt aus Taiwan. Er selbst ist dort geboren, in Norwegen aufgewachsen und hat schließlich in Schweden Film studiert. „Miss Kicki“ hatte seine Weltpremiere auf dem 14. Pusan International Film Festival in Südkorea.
“The film was 90 per cent shot in Taiwan, and for a half Chinese director like me it’s amazing to have the world premiere of a Swedish film at Asia’s hottest film festival”
Håkon Liu.
Mit seinem persönlichen Hintergrund zwischen den Kulturen und seinen Erfahrungen in dem Land, in dem die Geschichte von „Miss Kicki“ ihren Lauf nimmt, hat Hakon Liu das Drehbuch der Hauptdarstellerin Pernilla August auf den Leib geschrieben. Sie dürfte Cineasten und SciFi-Freunden gleichermaßen bekannt sein: sie spielte in Ingmar Bermans „Fanny und Alexander“ und war die Mutter von Anakin Skywalker in den „Starwars“-Prequels.
Auch die anderen Schauspieler halten das hohe darstellerische Niveau in der einfühlsamen Entfaltung ihrer Charaktere. Entstanden ist ein mit einer wohltuenden Leichtigkeit erzähltes sensibles Melodram über Einsamkeit und Freundschaft.
Nachtrag: Am 15.11.2009 wurde der Film im Rahmen des 58. Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg mit dem Rainer Werner Fassbinder-Preis ausgezeichnet:
„Den Rainer Werner Fassbinder-Preis erhält „Miss Kicki“ von Håkon Liu aus Schweden, weil er beispielhaft zeigen kann, wie eine Schauspielerin einen Film prägt. Hier wird auf immer wieder überraschende Weise vorgeführt, dass das Kino nicht viele Worte machen muss, um das Unausgesprochene und Unsagbare in menschlichen Beziehungen auszusprechen.“
(Begründung der Internationalen Jury)
Mir persönlich will diese Entscheidung nicht ganz einleuchten, soll doch der Rainer Werner Fassbinder-Preis laut Festival-Programm an den „künstlerisch innovativsten Film“ gehen. Unter diesem Aspekt betrachtet hätte es viel passendere Anwärter gegeben, u.a. „Caño Dorado“ von Eduardo Pinto.
„Miss Kicki“ ist unter künstlerischen Gesichtspunkten weniger innovativ, jedoch besticht der Film wirklich durch seine Hauptfigur, die fast einem Fassbinder-Film entsprungen sein könnte…
Filmdaten: