Die Eröffnungsveranstaltung des IFFMH in Heidelberg hatte hohen Unterhaltungswert – schon vor dem Film
Geoffrey Enthoven | Belgien 2009 | 98 Min.
Der diesjährige Eröffnungsfilm der 58.Internationalen Filmfestspiele Mannheim-Heidelberg läuft außer Konkurrenz. Der Regisseur Geoffrey Enthoven gewann schon 2006 mit seinem Film „Vidange Perdue“ den Großen Preis des Festivals und ist damit dem Wettbewerb der internationalen Neuentdeckungen entwachsen. „Meisjes“ ist sein vierter abendfüllender Spielfilm. Auf dem World Film Festival in Montreal im August erntete er Standing Ovations. Gestern Abend in Heidelberg immerhin sitzendes Getrampel und langanhaltenden Applaus.
Das Publikum der Eröffnungsveranstaltung hatte auch schon ein gutes warm-up hinter sich: Statt trockener Eröffnungsreden lieferten sich die zwei Bürgermeister der „Metropolregion Rhein-Neckar“ ein launiges Rededuell zugunsten ihrer Standorte mit spontanem internationalem touch. Für Heidelberg stieg zuerst Oberbürgermeister Dr. Eckhard Würzner in den Ring auf die Bühne. Für Mannheim holte dann der Erste Bürgermeister Christian Specht zum Schlag aus tief Luft und legte sich wie ein veritabler Marktschreier ins Zeug für seine Stadt. Der Unterhaltungswert für das Publikum war immens, der Erkenntniswert für die Bürgermeister auch: In Zeiten der klammen Kassen könnten auch die Stadtkämmereien etwas von den Filmemachern lernen – nämlich wie man mit low-budget ganz großes Kino macht.
Nach dieser furiosen Eröffnung hatte Festivalleiter Dr. Michael Kötz die schwierige Aufgabe, das Publikum wieder für seine nachdenkliche Eröffnungsrede einzufangen. Es ist ihm gelungen. Folgende Regieanweisungen hatte er noch für das Festivalpublikum:
Das Festival begreift man – sinnlich und intellektuell – erst dann, wenn man uns ein bisschen vertraut und sich wenigstens fünf, am besten aber 15 und im optimalen Falle 46 Filme ansieht.
und
Ich schlage vor, Sie schrauben Ihre Erwartungen so hoch, dass manche Kulturevents in echte Schwierigkeiten kommen würden, Ihren Ansprüchen gerecht zu werden.
Michael Kötz
So fiel dem Eröffnungsfilm „Meisjes“ dann die noch schwierigere Aufgabe zu, den hochgeschraubten Erwartungen gerecht zu werden.
Der belgische Spielfilm legt zunächst gut los: Die 68-jährige Claire wird gleich in der ersten Szene erfrischend schwarzhumorig zur Witwe gemacht. Bei der Beerdigung ihres Mannes treffen dann die Hauptcharaktere des Films aufeinander: ihre 2 Jugendfreundinnen, mit denen sie ein halbes Jahrhundert zuvor die Girl-Band „Sisters of Love“ hatte („Meisjes“ ist flämisch für Mädchen) und ihre beiden Söhne: Alexander, der sich bisher erfolglos als Musiker und Produzent versucht, und dessen älterer, biederer, beruflich erfolgreicher Bruder.
Mit knackigen Dialogen nimmt die Geschichte ihren Lauf. Es liegt an Filmen wie „Calendar Girls“ und „Young@ Heart“, dass von Anfang an klar ist, wohin diese Ausgangskonstellation führen soll (wer noch nicht ahnt, wie der Hase läuft, kann sich hier schlau machen). Durch die bekannten britischen Vorläufer liegt die Messlatte für die flämische Variation des Themas hoch. Und thematisch gibt es da viel zu holen: Humor und/oder Drama aus dem Anblick, wie ältere Leute das tun, was sonst eher jüngeren vorbehalten ist. Hier punktet „Meisjes“ nur auf der humorigen Seite. Drama und nachdenkliche Momente aus den Aspekten Familie, Alter und Krankheit: Das wird bei „Meisjes“ über die gesamte Länge nur am Rande abgetan, um dann kurz vor dem Finale plötzlich den gesamten Film zu kapern.
Zum Ende hin entpuppt sich plötzlich der über weite Strecken leichtfüßige, aber auch ein wenig steif mit den Hüften schwingende Film als eine unausgewogene Mischung aus Feelgood-Movie und ernsthaftem Drama über das Älterwerden (incl. Alzheimer). Wobei „Mischung“ eigentlich gar nicht stimmt: Die ersten 80 Minuten kommen als Komödie daher, die eher auf Situationskomik als auf sich entfaltende Charaktere setzt, doch dann kippt das Ganze für die letzte Rollenlänge derart verstörend ins Drama, dass Bestürzung und Irritation des Zuschauers sich am Ende die Waage halten und der Film darunter wegbrechen zu droht. Denn das in sich stark montierte dramatische Ende torpediert den leichten Feelgood-Film mit Gespür für Timing, als der er über 4/5 der Zeit leicht konsumierbar war, die dramaturgische Oberflächlichkeit dieser ersten 4/5 wiederum geben dem dramatischen Schwergewicht des Endes keine tragfähige Grundlage.
…. hhmm, schade… eine besser eingefädelte und konsequenter durchgeführte Dramaturgie und nicht ganz so klischeehaft holzschnitt-artig angelegte Charaktere (und vielleicht auch: etwas mitreißendere Musik), dann hätte das ein richtig guter Film werden können. Die Zutaten dazu waren alle vorhanden, incl. der bezaubernden Darstellerinnen der 3 Meisjes (Marilou Mermans, Lea Couzin, Lut Tomsin) und dem durchaus charismatischen Darsteller des Musikersprösslings Alexander „Fuck“ Sid (Jan Van Looveren). Doch auch ihre darstellerischen Leistungen (für die sie vom Festivalpublikum im Zelt am Uniplatz in Heidelberg mit Applaus gefeiert wurden) konnten den Charakteren im Film nicht aus der reißbretthaften Eindimensionalität des Drehbuchs heraushelfen. Somit konnte der Eröffnungsfilm des Festivals meinen auf Anweisung des Festivaldirektors rigoros hochgeschraubten Erwartungen leider nicht ganz standhalten.
Für die nächsten 10 Festivaltage heisst das für mich: Das Programm hat noch viel Spiel nach oben. Man darf gespannt sein!
Filmdaten: