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Das Spiel mit Traum und Wirklichkeit (9)

in Alejandro Amenábars Film ABRE LOS OJOS

Luis Buñuel und Salvador Dalí | UN CHIEN ANDALOU | Frankreich 1929

Die folgenden Abschnitte geben einen – auf einige Schwerpunkte konzentrierten – Überblick des filmischen Umgangs mit verschiedenen ‘Wirklichkeitsstufen’ seit den Anfängen des Kinos bis heute.

Aller Anfang ist einfach

Anfangs verhält es sich ganz simpel mit der Schnittstelle zwischen Traum und Wirklichkeit. In der ersten Einstellung ist ein Mann zu sehen, der mit einer attraktiven Frau isst – Schnitt – Derselbe Mann schreckt aus dem Schlaf hoch und sieht neben sich eine andere, nicht so attraktive Frau liegen. Und schließlich bringt der Titel Rêve et Réalité (Frankreich 1901) die Sache auf den Punkt. (( Beispiel aus WULFF Hans J. (1997): Intentionalität, Modalität, Subjektivität. Der Filmtraum, in: DIETERLE Bernard, Hg. (1998): Träumungen. Traumerzählungen in Film und Literatur, St.Augustin: Gardez!-Verlag 1998 – S.53 ))

Denkbar und in der Filmgeschichte nachschaubar ist auch, dass sich Träumender und Trauminhalt gleichzeitig dieselbe Einstellung teilen: Fast im Comic-Bildchen-Stil ist ein im Bett Schlafender zu sehen über dem in einer Gedankenblase sein Traum bebildert wird. (( So zu sehen in Les Hallucinations du Baron de Munchhausen (1911) von Méliès – vgl. WULFF (1998) S.60 )) Diese Anfänge wirken heute fast naiv und teilweise sehr verspielt, aber sie haben verschiedene ‘Wirklichkeitsstufen’ eindeutig markiert und definiert.

Der Surrealismus eröffnet viele Möglichkeiten

„Si vous rêvez, acceptez vos rêves. C’est le rôle du dormeur.“ (( Dialogpassage aus Orphée (1949) von Jean Cocteau ))

In Filmen der surrealistischen Richtung seit den 20er Jahren geht es weniger um die klare Trennung verschiedener Realitäten, als eher um deren Zusammenführung. Hier spielt die strukturelle Analogie von Traum und Film eine grosse Rolle. Die Beschäftigung mit den Theorien Freuds ist in Künstlerkreisen an der Tagesordnung. So sagt Luis Buñuel beispielsweise von sich:

„Ich habe viel von Freud gelesen seit ich dreiundzwanzig war.“ (( BUÑUEL Luis (1984): Die Erotik und andere Gespenster. Nicht abreissende Gespräche mit Max Aub, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1995 – S.154 ))

Ein Paradebeispiel für einen surrealistischen Film ist Un Chien andalou von Luis Buñuel und Salvador Dalí aus dem Jahr 1929. Über seine und Dalís Intentionen bei der Fertigstellung von Un Chien andalou sagt Buñuel:

„Wir suchten ein labiles und unsichtbares Gleichgewicht zwischen Rationalem und Irrationalem, um durch letzteres eine Fähigkeit zum Verständnis des Nichtgreifbaren, zur Verbindung von Traum und Wirklichkeit, von Bewusstsein und Unbewusstsein zu erhalten, unter Vermeidung jeglicher Symbolik.“ (( BUÑUEL Luis (1984): Die Erotik und andere Gespenster. Nicht abreissende Gespräche mit Max Aub, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1995 – S.55 ))

Nichtsdestotrotz gibt es fruchtbare Herangehensweisen, die, wenn nicht auf Grundlage der Symbolik, so aber auf der Basis der Semiotik eine umfassende und schlüssige Interpretation des Films hervorbringen. So z.B. Linda Williams, die den Sinngehalt von Un Chien andalou folgendermaßen analysiert:

„The predominance of figure over diegesis in (…) Un Chien andalou indicates that it is on the level of these figures alone that the bulk of the film’s discourse is carried out. As in a dream, the overdetermination of certain repeated motifs is the key to interpretation.“ (( WILLIAMS Linda (1981): Dream Rethoric and Film Rethoric. Metaphor and Metonymy in Un Chien andalou, In: Semiotica 33/1981, Nr. 1/ 2, S.87-103 – S.99 ))

D.h. es geht nicht um die Entschlüsselung einer Narration. Es gibt zwar eine fortgeführte Handlung, doch diese folgt keineswegs einer kausalen Logik. Die Bedeutung liegt vielmehr in den vorwiegend metaphorisch aufzufassenden Bildinhalten selbst. Der Film stellt dabei traumähnliche Zusammenhänge mit harten Schnitten her. Es gibt nur eine Sequenz in der überblendet wird, und doch wirkt der ganze Film fliessend. Analog zur Traumform ist das Raum- und Zeitgefüge gelockert, es wird mit Verwandlung gespielt:

„Thus the figural activity of Un Chien andalou is a conscious imitation of the discourse of the unconscious. The temporary binding of psychic energy that occurs in dreams through the dream work of condensation and displacement is closely paralleled in this film by the special surrealist use of metaphor and metonymy in which the true discourse of the text is carried out on the level of its figures.“ (( WILLIAMS Linda (1981): Dream Rethoric and Film Rethoric. Metaphor and Metonymy in Un Chien andalou, In: Semiotica 33/1981, Nr. 1/ 2, S.87-103 – S.102 ))

Jean Cocteau schafft auch noch Jahrzehnte später Filme, die den Traumcharakter von Film hervorheben. In seinen Filmen des poetischen Surrealismus erzählt er märchenhafte Geschichten, wie z.B. in La belle et la bête (1946) und Orphée (1949). Für Cocteau ist Film ein Medium der Poesie. Er nutzt es, um die Mechanismen des Traums abzubilden. So, wie man im Schlaf seine Träume nicht als solche erkennt, soll auch das Publikum bei seinen Filmen in eine Art kollektiven Traum entführt werden. Um das zu erreichen, verbindet er Elemente von Traum und Realität dramaturgisch und visuell untrennbar miteinander.

Die Publikation des gesamten Textes gibt es hier zum PDF Download >

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