in Alejandro Amenábars Film ABRE LOS OJOS
Alejandro Amenábar | ABRE LOS OJOS | Spanien 1997
Der Traum
TV Mann: „…was wäre, wenn ich dir sage, dass du nur geträumt hast?“
César: „Nein nein nein!“
TV Mann: „Und warum nicht?“
César: „Sehen Sie, ich weiss, was real ist. Das hier ist Wirklichkeit!“
TV Mann: „Und woher weisst du das? Träume werden einem erst bewusst, nachdem man aufgewacht ist.“
César: „Ich weiss es einfach. Meine Träume sind viel unkomplizierter als all das hier.“
TV Mann: „Nein nein. So einfach kannst du dir das nicht machen“…
Nein, einfach macht es Alejandro Amenábar in Abre los ojos weder seinem Protagonisten, noch dem Zuschauer: Er spielt auf mehreren Ebenen der Filmerzählung mit dem Phänomen Traum.
Einfach macht es sich auch die wissenschaftliche Traumforschung nicht. Nur eines ist nach über hundert Jahren noch allgemein und unverändert anerkannt:
Seit im Jahre 1900 Sigmund Freud sein Grundlagenwerk Die Traumdeutung veröffentlicht hat, wird der Traum als Ausdruck des Innenlebens des Menschen verstanden. Was noch lange nicht die Frage nach dem Wie und Warum beantwortet. Das Warum wird auch in dieser Arbeit nicht geklärt werden, doch auf das Wie werde ich im Folgenden ein wenig näher eingehen, denn das Verständnis der physiologischen Bedingungen des Phänomens Traum änderte sich mit der wissenschaftlichen Herangehensweise. So wurden in der Frühzeit Schlaf und Traum einfach gleichgesetzt. Nach Aristoteles wurde der Schlaf insgesamt als eine Tätigkeit des Geistes begriffen. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde dem Traum überhaupt eine Zeitstruktur zugeordnet. Nicht der gesamte Schlaf ist Traum. Schlafen ist nach neueren Erkenntnissen überhaupt nicht mit dem Träumen gleichzusetzen:
„Mit anderen Worten, der Traum ist ein dritter Gehirnzustand, der von dem des Schlafs genauso verschieden ist, wie dieser von dem des Wachseins.“ (( JOUVET Michel (1972): Die Nachtseite des Bewußtseins. Warum wir träumen, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH 1994 – S.11 ))
Allerdings ist das Einschlafen ein konstituierender Faktor für den Zustand des Träumens. Der Schlaf ist im Gegensatz zum Wachzustand ein Zustand von geringer Empfindlichkeit der Sinnesorgane für äussere Reize. Der Organismus schaltet herunter und legt eine Pause ein. Das Gehirn passt sich jedoch nicht der relativen Passivität des Körpers an, sondern weist in verschiedenen Phasen beträchtliche Aktivität auf. Diese Aktivität steht in engem Zusammenhang mit dem psychischen Phänomen des Traumerlebens. Die experimentelle Schwierigkeit ist die, dass man dem Phänomen Traum physiologisch nur im Schlaf und psychlogisch nur durch berichtete Traumerinnerungen näherkommen kann.
Den physiologischen Grundlagen des Traums ist die Schlafforschung auf der Spur. (( hierzu und zu den folgenden Ausführungen vgl. SCHREDL Michael (1999): Die nächtliche Traumwelt. Eine Einführung in die psychologische Traumforschung, Stuttgart: W. Kohlhammer: 1999 – S.9ff )) Im Schlaflabor werden mit Hilfe des Elektroenzephalogramms EEG die Gehirnströme von schlafenden Probanden aufgezeichnet und deren Puls, Atemtätigkeit und Muskelaktivität überwacht. Der entscheidende Durchbruch in der Forschung war die Entdeckung des REM-Schlafes in den 50er Jahren. Diese Phase des Schlafes zeichnet sich durch schnelle Bewegungen der Augen (REM für Rapid Eye Movement) aus, das Herz schlägt häufiger, die Temperaturregelung des Körpers nimmt ab, die Körpermuskulatur ist beinahe gelähmt, da der Muskeltonus von Gehirnzentren im Hirnstamm, die den REM-Schlaf steuern, aktiv gehemmt wird. Die Hirnaktivität selbst steigt dagegen stark an. (( Diese Phase wird auch als ‘paradoxer’ Schlaf bezeichnet, im Unterschied zum ‘orthodoxen’ Schlaf. Vgl. hierzu JOUVET Michel (1972): Die Nachtseite des Bewußtseins. Warum wir träumen, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH 1994 – S.90ff ))
Die Analyse der Hirnaktivität hat ergeben, dass der Schlaf insgesamt fünf verschiedene Stadien beinhaltet. Ausser der REM-Phase lassen sich noch vier NREM-Phasen (Non-Rapid-Eye-Movement-Phasen) unterscheiden. Ein Schlafzyklus beginnt mit dem Einschlafstadium (NREM-Stadium 1), dem folgt das NREM-Stadium 2, dass als der eigentliche Schlaf bezeichnet wird. Die NREM-Stadien 3 und 4 werden zusammen als Tiefschlaf bezeichnet, hier ist die Gehirnaktivität am geringsten. Die Tiefschlafdauer nimmt im Verlauf der Nacht ab, während die REM-Phasen häufiger auftreten. Jeder Mensch träumt bei einer durchschnittlichen Schlafdauer pro Nacht einige Stunden. Unterschiedlich ist nur der Grad des Vergessens. Träume aus den REM-Phasen werden dabei besser erinnert, als NREM- Träume. REM-Träume und NREM-Träume unterscheiden sich auch in ihrer Art:
„Man kann die NREM-Träume als eher gedankenartig bezeichnen, während REM-Träume meist dem Wachleben ähnliches ganzheitliches Erleben (mit vielen visuellen Eindrücken) enthalten.“ (( SCHREDL Michael (1999): Die nächtliche Traumwelt. Eine Einführung in die psychologische Traumforschung, Stuttgart: W. Kohlhammer: 1999 – S.13 ))
So fallen Traumberichte aus dem REM-Stadium viel emotionaler, komplexer und auch bizarrer aus als Berichte von NREM-Träumen, welche eher rationaler und realistischer sind. (( vgl. BORBÉLY Alexander (1984): Das Geheimnis des Schlafs. Neue Wege und Erkenntnisse der Forschung. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1984 – S.77 )) Bei den Ergebnissen statistischer Erhebungen zu REM-Trauminhalten fällt auf, dass zu den visuellen Sinneswahrnehmungen, die die Träume hervorbringen, in weit mehr als der Hälfte der Fälle auch noch auditive Sinneswahrnehmungen kommen, während taktile Wahrnehmungen oder Geschmacks- und Geruchserlebnisse fast völlig unerheblich sind. (( SCHREDL Michael (1999): Die nächtliche Traumwelt. Eine Einführung in die psychologische Traumforschung, Stuttgart: W. Kohlhammer: 1999 – S.66 )) Alle Arten von Träumen zeichnen sich grundlegend dadurch aus, dass sie unmittelbar erlebt werden. Für die Philosophin Susanne K. Langer ist es sogar die wichtigste formale Eigenschaft des Traumes, dass der Träumende sich immer in seinem Zentrum befindet:
„…the dreamer is always ‘there’, his relation is, so to speak, equidistant from all events. Things may occur arround him or unroll before his eyes; he may act or want to act, or suffer or contemplate; but the immediacy of everything in a dream is the same for him.“ (( LANGER, zitiert nach: GAUBE Uwe (1978):Film und Traum. Zum präsentativen Symbolismus. Dargestellt am Verhältnis von Film und Traum, München: Wilhelm Fink Verlag 1978 – S.13f ))
Ein Traum ist letztendlich ein rein subjektives Erlebnis: Der Träumende erlebt isoliert seine persönliche Traumwelt und handelt in ihr mit Körper, Sinnen, und Gedanken.
César: „Es spielt keine Rolle, was Sie sehen. Es spielt nur eine Rolle, was ich sehe. Es ist MEIN TRAUM!“
Ein Traum wird nicht oder äusserst selten erkannt als Erscheinung, wie wir sie vom Wachen her definieren. (( eine Ausnahme sind die sogenannten luziden Träume – vgl. den Abschnitt Luzider Traum )) Somit steht die Wachwirklichkeit der Traumwirklichkeit gegenüber. Der materielle Inhalt der Traumwirklichkeit stammt unter anderem auch aus der Wachwirklichkeit. Sogenannte Tagesreste finden sich in der Traumwirklichkeit wieder, poetisch ausgedrückt, heisst das:
„Nichts ist in den Traumgesichtern, was nicht zuvor im Blick gewesen wäre.“ (( Marquis d’Hervey, zitiert nach JOUVET Michel (1972): Die Nachtseite des Bewußtseins. Warum wir träumen, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH 1994- S.31 ))
Psychiater: „Ist das das Bild aus deinen Träumen?“
César: „Ich hätte nicht davon träumen können, wenn ich es nicht schon gesehen hätte – oder?“
Unsere Einbildungskraft baut die Traumwelt aus dem Fundus der Wachwirklichkeit auf. Ein Traum kann scheinbar der Wachwirklichkeit entsprechen, sie quasi fortsetzen. Damit entspräche er der Kontinuitätshypothese, die ein Ansatz zur Erklärung des Zusammenhangs zwischen Traum und Wachleben ist. Ein anderer Ansatz ist der der Komplementärhypothese, die auf Träume zutrifft, deren Realität derjenigen des Wachlebens quasi kompensatorisch entgegengesetzt ist. Genau so gut kann ein Traum absolut phantastische Vorgänge als ganz natürliche präsentieren.
Allen Arten von Träumen gemeinsam ist, dass in ihnen das Raum-Zeit-Gefüge gelockert ist. Dieses Phänomen ist dafür verantwortlich, dass die Wahrnehmung der Traumrealität oft als sehr fliessend empfunden wird.
Psychiater: „Manchmal träumt man mit einem Menschen zusammen zu sein, z.B. mit seinem Vater; und dann verwandelt er sich plötzlich in seine Mutter und danach in deinen Zeitungsverkäufer. Und trotzdem hat man das Gefühl, man redet immer nur mit derselben Person. Du glaubst, du bist in deiner Wohnung, aber plötzlich stellst du fest, dass du in einer Schule bist oder in einem Krankenhaus, oder im Gefängnis. So sind Träume nun mal. Und manchmal verhält sich das Gehirn so, als wäre es in einem Traum.“
In den allermeisten Träumen ist unser Traumbewusstsein davon überzeugt, dass wir nicht träumen, sondern in wachem Zustand das gerade Geträumte wirklich erleben:
„Unser Traumbewusstsein handelt so, als wäre es wach. Wir glauben, dass wir nicht träumen. Es handelt sich also um ein reflexives Bewusstsein, da wir uns die Frage stellen können, ob wir träumen. So gleicht das Traumbewusstsein einer im Wachzustand halluzinierenden Person. Die Traumbilder oder die Halluzinationen, hervorgerufen durch ein endogenes System im Hirnstamm, werden als Wirklichkeit wahrgenommen, obgleich sie unwirklich sind. Nur fehlt dem reflexiven Bewusstsein die Vernunft des wachen Bewusstseins.“ (( JOUVET Michel (1972): Die Nachtseite des Bewußtseins. Warum wir träumen, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH 1994 – S.111 ))
Eine Anekdote aus dem alten China illustriert sehr schön den Realitätsgehalt des Traumbewusstseins, der auch nach dem Aufwachen noch von irritierender Stärke sein kann:
„Ich, Chuang Tzu, träumte einmal, ich sei ein Schmetterling, der hierhin und dahin flatterte, in jeder Beziehung und Hinsicht ein Schmetterling. Ich war mir nur über mein Schmetterlings-Dasein bewusst und nicht über meine menschliche Existenz. Plötzlich erwachte ich und lag nun da, wiederum als das gewohnte Ich. Ich weiss jetzt aber nicht, ob ich ein Mensch war, der träumte, er sei ein Schmetterling, oder ob ich ein Schmetterling bin, der träumt, er sei ein Mensch.“ (( Der Chinesische Philosoph Chuang Tzu (300 v. Chr.), hier zitiert nach: BORBÉLY (1984) S.70 – hier klingt auch ein Wesensmerkmal des Phantastischen an: die Unentscheidbarkeit und damit gegenseitige Aufhebung der verschiedenen Ebenen. Franz Kafka beschreibt in Verwandlung ein ähnliches Phänomen. ))
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