Ein Gespräch mit dem österreichischen Regisseur Wolfgang Murnberger anlässlich des Kinostarts von Mein bester Feind. Spätabends in den Büroräumen eines Kinos, in dem er die Tragikomödie um den Juden Viktor (Moritz Bleibtreu), der den Nazis ein Schnippchen schlägt und in SS-Uniform der Holocaust überlebt, in einer Preview dem Publikum vorgestellt hat. Nach der Veranstaltung ist Zeit zu reden. Über diesen Film und seine Brenner-Filme (Komm, süßer Tod, Silentium, Der Knochenmann), über Humor und dessen Inszenierung, über Schauspielkunst und Sprache, über Historienfilme und Science-Fiction.
Welche Phase ist Ihnen am liebsten während der Arbeit an einem Film?
Endmischung. (lacht)
Schreiben, Drehen oder Schneiden?
Also, wenn ich drehe, freue ich mich schon aufs Schreiben und wenn ich schreibe, freue ich mich aufs Drehen. So ist das eher.
Mein bester Feind ist Ihr erster Film, bei dem Sie nicht von Anfang an am Drehbuch mitgearbeitet haben und involviert waren. Wie kam das Projekt zu Ihnen und haben Sie aufgrund des Themas gezögert, es anzunehmen?
Ja. Der Produzent hat mir gesagt: Ich habe ein Projekt und das ist finanziert. Ein Regisseur sei ihm abhanden gekommen und ob ich das mache. So hat er das angeboten. Ich habe mir das durchgelesen und habe gesagt: (lässt nur mit einem abgrundtiefen Stöhnen die Luft zwischen den Lippen entweichen). Ich habe Zweifel gehabt, ob das geht und so. Dann habe ich den Autor Paul Hengge getroffen und länger mit ihm gesprochen. Der war total begeistert vom Knochenmann, was mich sehr überrascht hat – er als 77-jähriger. Und dann hat er gesagt, dass es das mit diesem schwarzen Humor da auch so sehen würde, und auch genauso subtil. So ist das dann immer mehr zu meinem Ding geworden, bis ich dann gesagt habe: ja, ich mach’s. Und der Moritz war schon angefragt.
Was war die größte Herausforderung bei diesem Film für Sie?
Dieser Gang auf… (verstummt)… Dieser Gang. (sehr nachdenklich) Ich kann das schon. Ich habe das bei den Brenner-Filmen auch gemacht: Die Mischung zwischen Komödie und Spannung, und im Knochenmann auch noch Horror. Das mag ich ja ganz gern: Genre-Mix. Aber in dem Fall war es irgendwie nicht so richtig ein Genre-Mix. Der Film beginnt ja eher realistisch. In den ersten zwanzig Minuten gibt es gar nichts zu lachen…
Das braucht man einfach, um in diese Zeit reinzukommen und das finde ich auch gut. Vieles von dem ist emotional, das ist ja alles so passiert: Die Juden wurden enteignet und die Bilder wurden ihnen weg genommen. Das ist ja alles real. Und das muss seine Berechtigung haben in dem Film. Gleichzeitig wollte ich aber diese Momente, wo man lachen kann, ohne aber die Nazis zu Witzfiguren zu machen, die lächerlich sind, denn dann geht gar keine Gefahr mehr von ihnen aus. Ohne die Gefahr funktioniert der subtile Humor ja gar nicht. Der Humor, der wirklich gute Humor, kommt ja aus der Tragik. Dann ist er wirklich komisch. Es ging um diese Balance. Aber das weiß man beim Drehen ja gar nicht so genau.
Als wir zu Drehen begonnen haben – das waren diese Lager-Szenen – da haben wir gesagt: Wir können das jetzt so machen und dann hat es der Moritz so in der Art gespielt, wie die Schauspieler z.B. in Ein Fisch namens Wanda spielen. Also so spielen. Oder man macht es so, wie sich ein Mensch in dieser Situation in Wirklichkeit verhalten würde. Und zwischen diesen beiden Polen war ein großer Bogen. Wir haben dann die ersten Tage wirklich beides gemacht. Wir nannten das: die realistische und die Chaplin-Variante, in völliger Übertreibung. Meistens ist die realistische Variante im Film. Es gibt aber hin und wieder Momente, wo ich dann doch die andere Variante genommen habe, einfach so zur Auflockerung
Haben Sie dieses System den ganzen Film über durchgehalten und sind mit beiden Varianten in den Schnitt gegangen?
Nein, wir haben das die ersten drei Tage gemacht und danach nur noch sporadisch, wenn sich eine Szene angeboten hat, bei der wir gesagt haben: Wie wäre denn das jetzt, wenn wir ein bisschen mehr draufdrücken? Beispielsweise in der Hütte, wo die Soldaten reinkommen und der Moritz sagt: Ich bin vom Himmel gefallen mit dem Flieger. Da ist es z.B. mehr die Chaplin-Variante als die ganz realistische. Er hat die Szene auch aus der Angst heraus gespielt, wo man spürt, er hat Angst, Angst, Angst. Aber wir haben dann die leichtere Variante genommen. Also sagen wir so: es hat vom Spiel her immer eine leichtere und eine ernstere Variante gegeben.
Haben Sie überlegt, inwieweit Sie auch mit filmtechnischen Mitteln, z.B. durch den Einsatz von weitwinkeligen Nahaufnahmen wie bei ihrem Film Der Knochenmann, überzeichnen wollen?
Der Peter von Haller ist ja der gleiche Kameramann wie beim Knochenmann und wir haben uns natürlich gefragt… Wir haben aber sofort gesehen, dass wir nicht diesen Stil machen können wie beim Knochenmann, wo wir ja wirklich die Schauspieler beleidigen, so nah gehen wir da mit dem Weitwinkel ran. Aber wir haben immer wieder eine abgeschwächte Version davon gemacht. Wir haben wirklich mehr mit Weitwinkel-Optik gearbeitet und nicht so telig, damit es nicht so diesen amerikanischen Cinema-Touch kriegt, wo immer nur der Kopf scharf ist und im Hintergrund verschwimmt schon alles.
Sie sind als Sohn von Kinobetreibern mit dem Kino aufgewachsen. Mischen Sie sich bei ihren eigenen Filmen jetzt auch noch unter die Zuschauer um die unmittelbaren Reaktionen mitzuerleben?
Immer. Das mache ich total gern.
Dann haben Sie das sicher mit Mein bester Feind jetzt schon mehrmals gemacht?
Ja, zu meiner Freude. Beim ersten Mal hab ich richtig Schiss gehabt, aber es hat super funktioniert. Man spürt ja einfach, wie das Publikum mit dem Film umgeht. Und ich mag das schon, dass es am Anfang halt nicht so recht weiß. In den ersten Szenen trauen sich eigentlich alle gar nicht zu lachen. Und je weiter der Film voranschreitet, um so leichter tun sich dann alle mit dem Lachen. Das ist schon interessant, oder?
Ja, gerade nach dem Kostümtausch, danach..
Ja, da geht’s los. Und dann wird’s auch wirklich komisch.
Ab da geht es immer hin und her. Da gefällt mit das Timing sehr gut, gerade in der Montage.
Der Anfang war immer ein bisschen ein Problem. Ich brauchte diese breite Exposition, weil ich so viel einführen muss, sonst funktioniert es hinten nicht. Ich musste ja erzählen, wie es zu diesen Kopien von dem Michelangelo kommt, ich musste die Freundschaft von Viktor und Rudi…. das ist eh alles nur angedeutet. Ich musste die Familie einführen. Ich musste erzählen wie der Rudi zur SS gekommen ist. Also, ich musste so wahnsinnig viel transportieren bis es endlich zu dem Kleidertausch kommt (lacht).
Ist die letzte Drehbuchfassung 1:1 im Schnitt erhalten, oder haben Sie Szenen nochmal umgestellt, z.B. den Flugzeugabsturz am Anfang des Films?
Das war schon im Drehbuch. Aber im Drehbuch war mehr erzählt davon. Und da hat sich herausgestellt, dass das nicht geht.
Aber noch nicht bis zum Kostümtausch?
Nein. Aber dann hat sich herausgestellt, dass man am Anfang irgendwas braucht, um zu zeigen: Hier ist Kino! Denn diese andere Exposition ist ein bisschen wie ein Fernsehfilm, so wie das alles eingeführt wird und so. Aber das ist in Paul Hengges Roman ja alles noch viel viel länger. Da gibt es eine ganze Vorgeschichte…
Die manifestiert sich ja allein schon in der Gestalt von Rudi recht schön, so wie Georg Friedrich den gibt.
Ja. Den Georg Friedrich finde ich super in dem Film. Auch wie er in der SS-Uniform zum ersten Mal da rüber schaut zum Moritz.
Wie war denn die Zusammenarbeit mit Moritz Bleibtreu und Georg Friedrich? Kannten sich die beiden vorher?
Nein. Das sind zwei völlig unterschiedliche Schauspieler. Der Georg Friedrich arbeitet fast nur so… ich weiß gar nicht, wie der arbeitet… so aus dem Bauchgefühl raus, aus der Stimmung. Ich sehe jetzt noch immer den ersten Drehtag von ihm vor mir, wo er die Rolle noch nicht fühlte. Da hatte er auch seine Sprache noch nicht. Er hat zuerst geglaubt, er muss schöner sprechen, aber wenn er schöner spricht, wird er schlechter. Das ist ja oft so, deswegen spielt ja der Josef Bierbichler auch nur im bairischen Dialekt. Denn da muss man schon sehr gut sein, dass man da nicht verliert, wenn man nicht in seiner angeborenen Sprache spielt. Der Moritz ist das Gegenteil. Das ist ein Vollprofi. Aber darum geht es ja oft nicht. Es gibt ja im Film sehr viele Beispiele von Filmstars, die keine Schauspielausbildung haben und sie sind Publikumslieblinge geworden. Im Film gibt es eigene Gesetze. Moritz und Georg sind über weite Strecken auf derselben Höhe, nur haben sie es anders aufgebaut.
Gab es sehr unterschiedliche Reaktionen auf Mein bester Feind in Deutschland, Österreich oder auf dem fremdsprachigen Markt?
Nein. Und zu meiner großen Beruhigung kommt der Film beim jüdischen Publikum sehr gut an. Ich habe vom jüdischen Publikum noch keine einzige negative Reaktion auf den Film. Das ist die größte Erleichterung gewesen. Von so ein paar liberalen 68ern kam so ein bisschen Kritik, die haben gesagt : das geht nicht, das geht nicht…
Ich finde, es geht noch viel mehr.
Ja, ich denke auch.
Das ist jetzt Ihr erster Historienfilm. War das für Sie gewöhnungsbedürftig?
Ja, es kam mir immer wieder wie Maskenball vor. Aber mit dem Ergebnis bin ich jetzt sehr zufrieden. Wahnsinnig gerne mag ich diese Schluss-Szene. Wie der Georg da ausschaut und dieses Licht von der Galerie, das da auf die Straße herausfällt.
Das war auch von Anfang an in Zeitlupe geplant, oder?
Das habe ich in Zeitlupe geplant. Ich habe jetzt glaube ich 28 Filme gemacht… Also, da habe ich gewusst, dass ich das brauche. Man weiß, dass solche Blicke sonst einfach immer zu schnell vorbei sind. Manchmal tragen aber solche Blicke. Gerade wenn man sich 100 Minuten den Film angeschaut hat. Jede Szene hat einen gewissen Atem und dann weiß man schon beim Drehen: jetzt schauen sich sich nur noch einmal an, wenn sie weg gehen, und das ist zu schade, wenn das jetzt in Realzeit vorbeigeht. Und dann trau ich mich das. Ich trau mich in den Brenner-Filmen filmstilistisch noch viel mehr, nämlich genau das, was die ganzen Gurus verwerfen. Also irgendwie einen Zoom oder so. Ich bin ja aufgewachsen mit dieser Meinung: ein Zoom hat im Kino nichts verloren und solche Dogmen.
Zoom! Seit Ende der 70er Jahre ist das verboten!
Genau. Oder: Seriöse Filmemacher machen das nicht und so. Das haben wir in den Brenner-Filmen völlig über Bord geschmissen und gesagt: alles ist erlaubt, was der Szene dient.
Was reizt Sie bei den Brenner-Filmen, die ja in Zusammenarbeit mit Wolf Haas und Josef Hader entstehen, am meisten?
Diese Zusammenarbeit reizt mich am meisten. Und dann: das Publikum so herumzuführen und es immer wieder zu überraschen, wie schlimm es plötzlich wird und wie sehr man doch trotzdem wieder lachen kann. Eine richtige Achterbahn-Fahrt, wo alles drinnen ist: Komödie, Horror, Spannung, Action, Gewalt. Das ist das Reizvolle dran, weil das genau das ist, was Kino wirklich kann. In den Filmen mache ich alles, was man im Fernsehen dauernd verbietet, weil das Fernsehen saubere Genre-Sachen braucht. Das, was man verspricht, muss man halten. Da in den Filmen kehren wir alles um. Wir versprechen dauernd und brechen es. Und das ist irgendwie das Schöne daran.
Gibt es auch ein Filmgenre, das Sie noch nicht berührt haben und das Sie reizen würde?
Science-Fiction.
Aber da ist nichts geplant in diese Richtung?
Das ist zu teuer, Science-Fiction.
Es geht doch auch relativ billig, wie z.B. Duncan Jones das mit Moon gemacht hat.
Ja, aber das ist dann auch wieder so puristisch. Ich mag das schon, aber ich möchte es nicht gemacht haben. Ich denke, da muss man so ein Tüftler sein.
Steht ein neuer Brenner-Film an?
Das ewige Leben. Da schreiben wir schon am Drehbuch. (Ruft der Kinobetreiberin, die nebenan sitzt, zu) Aber der muss dann hier laufen!
Und die anderen 3 Brenner-Filme müssen dann vorweg kommen!
In München ist es wirklich so. (leistet Überzeugungsarbeit in Richtung Kino-Chefin) In München, wenn ein neuer Brenner kommt, werden die anderen zwei auch wieder ausgegraben und dann laufen im gleichen Kino alle drei. Es muss natürlich ein Publikum dafür geben. Also, in Berlin erlebe ich die schönsten Vorführungen mit diesen Filmen. (Jetzt hat er echtes Interesse geweckt, die Kino-Chefin gesellt sich dazu) Mit Zwischenapplaus, neun mal Zwischenapplaus während dem Film. Und in München auch. Ich sehe dass ja immer an den Besucherzahlen… (fade-out Interview, fade-in engagierter Dialog mit der Kinobetreiberin über Zuschauerzahlen und Filmprogrammierung, es ist jetzt halb eins nachts…)
Aber hier gibt es noch exklusiv die von |gegenschnitt| immer gerne gestellte Frage nach der Schneideraum-Tauglichkeit des Regisseurs :
Was für ein Schneideraum-Typ sind Sie als Regisseur? Lassen Sie den Cutter auch gerne mal mit dem Material alleine?
Ich habe ja selbst Schnitt studiert. Ich habe meine ersten beiden Spielfilme selbst geschnitten und weiß wie das geht. Das ist schon mal eine andere Voraussetzung. In der Zwischenzeit kann ich deswegen sehr gut die Cutter alleine arbeiten lassen, denn die haben oft wirklich gute Ideen. Die Regisseure sind oftmals ein bisschen ins Material verliebt und davon kann man sich nie hundertprozentig befreien – nie so befreien, wie sich ein Cutter davon befreien kann.
Bei ein paar Sachen darf man sich ja – auch wenn der Cutter recht hat – als Regisseur am Ende sagen: Ich hab’s einfach so gern. Das darf ein paar mal sein im Film, finde ich, aber wenn es den ganzen Film über ist, dann ist das meistens für den Film nicht so gut. Ich arbeite z.B. mit Evi Romen zusammen, sie hat in Österreich einen Preis für den Schnitt von Mein bester Feind bekommen und sie hat auch schon meine drei Brenner-Filme geschnitten. Das Dogma, wie sie das macht: Sie liest z.B. noch nicht einmal das Drehbuch. Sondern sie schneidet nur das, was sie kriegt. Sie mag gar nicht wissen, worum es da geht. Das ist ihr Prinzip und das taugt mir auch.
Da sind schon Sachen herausgekommen, die sie einfach so geschnitten hat, weil sie es nicht gewußt hat – und es war besser. Ich habe ihr dann gesagt, eigentlich finde ich das total lustig, aber ich hatte es eigentlich anders gedacht, denn es ist ja so und so und so. „Aha?“ hat sie dann gesagt, denn das hat im Material gefehlt. Dann haben wir es anders geschnitten und dann war es eigentlich nicht so gut wie das, was sie geschnitten hat. Also haben wir es wieder so gemacht, wie sie es geschnitten hatte. Und das geht nur, wenn man die Cutter alleine arbeiten lässt. Also, ich gehöre jetzt absolut nicht zu denen, die bei jedem Schnitt dabei sein müssen und dann noch sagen: „Zwei Kader weg!“.