in Alejandro Amenábars Film ABRE LOS OJOS
Alejandro Amenábar | ABRE LOS OJOS | Spanien 1997
Luzider Traum
César: „Warum haben Sie mich nicht schon früher geweckt?“
TV-Mann: „Du hättest darum bitten müssen! Was natürlich schwierig gewesen wäre, denn theoretisch konntest du ja nicht wissen, dass du träumst.“
Im Unterschied zu gewöhnlichen Träumen ist beim luziden Traum – oder Klartraum – dem Träumenden bewusst, dass er träumt. Luzide Traumerlebnisse fallen in die REM-Schlafphase. Dies ist der kleinste gemeinsame Nenner in der wissenschaftlichen Definition des Phänomens des Klartraums, der schon bei Aristoteles Erwähnung fand, von dem seitdem immer wieder berichtet, der aber erst in den letzten Jahren auch experimentell nachgewiesen wurde. (( vgl. hierzu und zu den folgenden Ausführungen SCHREDL Michael (1999): Die nächtliche Traumwelt. Eine Einführung in die psychologische Traumforschung, Stuttgart: W. Kohlhammer: 1999 – S.122ff ))
Zu den strengeren Kriterien bei der Definition eines luziden Traumes gehören die vollständige Erinnerung an das Wachleben, der Vollbesitz der intellektuellen Fähigkeiten und das Wissen über die eigene Entscheidungsfreiheit.
TV-Mann: „… es hängt von deinem Kopf ab.“
César: „Es reicht schon, wenn ich es will? Kann z.B. Antonio zurückkehren?“ (Er kehrt zurück)…
TV-Mann: „Du hast deine Ängste überwunden. Wenn du willst, können wir es nochmal probieren und du lebst diesmal deine schönsten Träume aus: mit Geld, Freunden, mit Sofía oder irgendeiner anderen Frau deiner Wahl. Du musst nur darum bitten.“
César: „Ich will aufhören zu träumen!“
Ein oft beobachtetes Phänomen bei luziden Träumen ist das des falschen Erwachens. (( 69% der luziden TräumerInnen kennen es nach SCHREDL (1999) S.123 )) Es führt bei den meisten Träumenden zum Verlust der Bewusstheit über den momentanen Zustand, da die erträumte/erlebte Umgebung genau mit derjenigen der Wachrealität übereinstimmt. In Abre los ojos spielt Amenábar gleich in den ersten Filmminuten mit diesem Phänomen.
Realitätsprüfung
Psychiater: „Jetzt hör mir mal gut zu: Wenn das ein Traum ist – sieh mich an! – wenn das ein Traum ist, bedeutet das, ich habe kein eigenes Leben, ich bin eine Lüge!“
César: „Sie existieren nur in meinem Kopf!“
Psychiater: „Nein! César, ich bin real!“
César: „Und woher soll ich das wissen?“
Psychiater: „Kannst du einen Traum nicht von der Wirklichkeit unterscheiden? Kommt dir das wie ein Traum vor?“ (knufft ihn) „Hey, sag mir, ob du das Gefühl hast, das wäre einTraum, hey!“…„Verdammt nochmal, vertrau’ mir doch, ich sag dir, es ist kein Traum!“
Die Tatsache, dass eine Realitätsprüfung des Wahrgenommenen nicht vorgenommen werden kann oder will, ist das verbindende Merkmal der Wahrnehmungssituationen während eines Traums, in Platons Höhle und im Kino.
Der entscheidende Unterschied liegt in der Tatsache, dass wir im Kino bewusst auf eine Realitätsprüfung verzichten, weil wir uns auf die Realität der Filmnarration einlassen wollen. D.h. wir vergleichen die Filmrealität nicht mit unserer Alltagsrealität. Wohl aber wenden wir gewisse Realitätsnormen auch bei der Entzifferung der Filmrealität an. D.h. wenn in der Filmhandlung plötzlich etwas Unerwartetes und zunächst Unerklärliches geschieht, sehen wir die Realitätsnorm innerhalb des Films verletzt. Verletzungen der Realitätsnorm eines Filmes können beim Rezipienten z.B. den Schluss auf eine Traumszene auslösen, um damit der Filmrealität wieder einen kohärenten Sinn zu geben und weiterhin der Filmrealität als solcher trauen zu können.
Virtuelle Realität
César: „Was ist das?“ –
LE Vertreter: „Was?“ –
César: „§14: Künstliche Wahrnehmung“ –
LE Vertreter: „Hierbei handelt es sich um ein Konzept, das wir noch nicht bis zu Ende entwickelt haben. Sehen Sie, das ist ein Leben: Geburt und Tod. Stellen Sie sich vor, Sie leiden z.B. an einer tödlichen Krankheit. Natürlich würden Sie gern weiterleben, aber nicht in der Zukunft – die interessiert Sie nicht. Sie wollen vielmehr ihr jetziges Leben in dieser Form weiterleben. Nun ja – Sie sterben, wir frieren Sie ein wie besprochen und wenn wir in der Lage sind Sie wiederzubeleben, dann geben wir ihnen ein neues Leben – in einem Traum.“ –
César: „Ein Traum?“ –
LE Vertreter: „Ja, aber er wird Ihnen völlig real vorkommen: Ihre Familie und Ihre Freunde, Ihre Heimatstadt. Die ganze Welt, inklusive Ihres Büros. Aber eigentlich ist es eine virtuelle Realität. Mehr noch: Wir lassen Sie vergessen, dass Sie gestorben sind und diesen Vertrag unterschrieben haben.“ –
Psychiater: „Aber wie denn?“ –
LE Vertreter: „Ganz einfach: Indem wir Ihr Gedächtnis löschen. Auf diese Weise leben Sie Ihr Leben linear, als ob nichts passiert wäre. Und was das Beste ist: Sie können selbst bestimmen, wie Sie leben wollen. Sie entscheiden alleine in jedem Moment.“ –
César: „Aber sagen Sie mir: Was passiert, wenn es Probleme gibt. Was ist, wenn der Traum zu einem Alptraum wird?“ –
LE Vertreter: „Sehen Sie mal: Das Unterbewusstsein kann einem immer böse Streiche spielen. Aber vergessen Sie bitte nicht, dass wir eine seriöse Gesellschaft sind und die virtuelle Realitätstechnologie macht ständig grosse Fortschritte.“
Mit der realen technischen Entwicklung der Virtuellen Realität (VR) erhält diese Thematik seit den 80er Jahren verstärkt Einzug in die Filmwelt. In den frühen Filmen, die das Thema aufgriffen, darunter z.B. Tron (1982), entspricht die filmische Darstellung der VR visuell dem damals technisch machbaren: grellfarbige Computergrafik, die den virtuellen Raum lediglich aus Gittern und Rastern aufbaut. (( 2010 sieht dasnatürlich ganz anders aus, wie der Trailer von Tron Legacy zeigt ))
Inzwischen haben sich die Möglichkeiten der im Computer generierten künstlichen Bilderwelten so verfeinert, dass vielen Bildern ihre rein digitale Herkunft gar nicht mehr anzusehen ist. In vielen Filmen wird nur noch die Hälfte einer Einstellung real gedreht, der Rest entsteht am Computer. So wurden für The Gladiator zB. nur die untersten Stockwerke des Colosseums nachgebaut und die übrigen am Computer draufgesetzt. Doch es soll hier nicht thematisiert werden, was heute technisch alles möglich ist, sondern, was dadurch an denkbaren Spielräumen eröffnet wird.
Was früher in den Bereich der Phantastischen Literatur gehörte, liegt heute schon im Bereich des Möglichen. Dank VR ist eine Geschichte wie Simulakron 3 von Daniel Galouye nicht mehr nur eine existenz-philosophische Spielerei (so auch in den 60er Jahren von Fassbinder als Welt am Draht filmisch umgesetzt), sondern in der Umsetzung von Joseph Rusnak in Thirteenth Floor (1999) in einer Realität angesiedelt, die auf dem heute bereits in Ansätzen technisch Machbaren aufbaut.
Ende der 90er Jahre gab es eine ganze Flut von Filmen über Leute, die plötzlich entdeckten, dass sie in einer anderen Realität lebten, als sie (und der Zuschauer) zu Beginn des Films angenommen hatten. (( mehr dazu im Teil Die Infragestellung der Wirklichkeit im Film der 90er Jahre ))
Rein qualitativ wird oft gar kein sichtbarer Unterschied zwischen den verschiedenen Realitäten gemacht. Die Unterscheidung ergibt sich nur aus der Handlungslogik des Films, aus dem erzählerischen Zusammenhang. Und damit ist der Spielraum benannt, in dem die filmischen Realitäten konstruiert werden:
Das spielerische Moment eines Spielfilms liegt weniger bei der Schauspielerei vor der Kamera als vielmehr zuerst in der Art und Weise, wie das Drehbuch seine Geschichte für den Zuschauer entwickelt und zu sehr groem Teil auf der formalen Ebene der Inszenierung, Kameraeinstellungen und letztendlich der Montage.
Um diese ‘Spielräume’ des Films wird es im folgenden Teil gehen.
Die Publikation des gesamten Textes gibt es hier zum PDF Download >