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DEMSALA DAWÎ: SEWAXAN | The Last Season: Shawaks

demsala dawi

Kazim Öz  | Türkei 2009 | 92 Min.

Dieser Film stellt eine echte Besonderheit im Programm der 58. Internationalen Filmfestspiele Mannheim-Heidelberg dar: Er ist der einzige Dokumentarfilm während des ganzen Festivals. Dabei ist er von einer Poesie und Weisheit erfüllt, die man in manchen Spielfilmen vergeblich sucht.

Die Shawaks sind ein Nomadenvolk im Osten der Türkei. Ihr Leben wird bestimmt von Jahreszeiten und Schafen. Während sie im Winter in festen Steinhäusern leben, ziehen sie im Frühling auf abenteuerliche Weise mit ihren Schafherden ins Gebirge, wo sie dann bis zum Herbst in Zelten leben: Gemietete Trucks werden mit Schafe, Hunden und Pferden beladen und die Familien machen sich in der Kolonne auf zum Fuße der Berge. Dann geht es zu Fuß weiter bergauf. Die Pferde und Maulesel drohen unter der Last der mitgeführten Hausstände einzuknicken. Erinnerungen an den kurdischen Film „Zeit der trunkenen Pferde“ (2000) aus dem Iran werden wach: Die Lasttiere schlittern und stürzen auf den zu überquerenden Schneefeldern. Die Reise fordert auch Opfer.

Der junge Regisseur Kazim Öz hat die kurdischen Nomadenfamilie über ein Jahr in ihrem archaischen Lebensalltag begleitet und lässt den Zuschauer in seinem ruhig erzählten Dokumentarfilm in diese fremde Welt eintauchen. Aber keine Angst: man fängt nicht irgendwann an, Schafe zu zählen. Zu bestechend genau ist der Blick des Regisseurs auf Mensch und Tier: in Bildern von wilder Schönheit arbeitet er Geschenke und Grausamkeiten dieses Lebens genauso heraus, wie er auch einen Blick für die Kleinigkeiten und die lakonische Komik mancher Situationen hat. Dabei wird so mancherlei Parallelität zwischen Mensch und Tier sichtbar. Die versierte Montage lässt die Bilder sprechen und den Film ohne erklärenden Kommentar auskommen, so dass er seine Poesie ungehindert entfalten kann, wobei er aber das ursprüngliche Leben der Nomaden nie romantisch verklärt, sondern in seiner ganzen Härte auffächert.

Nach zwei Spielfilmen ist dies der zweite Dokumentarfilm von Kazim Öz, bei dem er für Regie, Kamera und Schnitt verantwortlich zeichnet. Im kleinen Team mit nur einem Tonmann und einem Übersetzer begeitet er die Shawaks. Sie gehen bei ihrer Annäherung an die Nomaden sehr behutsam vor, werden aber in manchen Momenten von ihnen durchaus als Eindringlinge in die Gemeinschaft wahrgenommen. Wenn z.B. ein Hirte wütend über Ausbeutung, Ungerechtigkeit und Schmiergeld diskutiert, stoppt ihn das Oberhaupt des Clans. Der Regisseur hält sich zurück, befragt und bedrängt die Shawaks nicht. Manchmal wenden diese sich doch direkt und fast schon vertraulich an ihn. Sie erzählen von der Härte ihres bescheidenen Lebens und der Arbeit, die nie aufhört. Wobei Frauen und Männer völlig gegenteiliger Meinung ist, wer hier eigentlich die Hauptarbeit macht. Der ewige Kampf der Geschlechter wird auch in der abgelegen Bergwelt ausgefochten.

„Demsala Dawî: Sewaxan – The Last Season: Shawaks“ erzählt vom Zyklus des Lebens mit vielen Facetten, die der Film geschickt arrangiert und so ein poetisches Panorama liefert, in dem sich auch unser Leben in der modernen Gesellschaft spiegelt. Die Beschreibung „bildgewaltig“ trifft bei diesem Film leider nur unter Vorbehalt zu, denn die atemberaubenden Landschaften dieses Film hätten 35mm Material verdient – leider ist nur in HDV-Auflösung auf miniDV gedreht worden. Die präzise Kameraarbeit ist hervorragend, nur sind eben (vor allem natürlich in den Totalen) deutlich die Grenzen dieses Videomaterials zu sehen. Das ist sehr Schade. Einige wenige Einstellungen scheinen auch im falschen Seitenverhältnis gedreht worden zu sein und wirken deshalb im Film gequetscht. Ohne diese kleinen Abstriche wäre dies ein ganz großer Dokumentarfilm. So ist er immerhin ein kleines, fein geschliffenes Meisterwerk mit einigen Kanten, das durch die bewegende traditionelle Musik noch eine zusätzliche emotionale Kraft ausstrahlt.

Wer „Die Geschichte vom weinenden Kamel“ in guter Erinnerung hat, wird sich in diesem Film sehr wohl fühlen. Und allen anderen sei er wärmstens ans Herz gelegt, erzählt er doch eine universelle Geschichte von Tradition und Moderne, vom Werden und Vergehen, vom Leben an sich.


Nachtrag: am 15.11.2009 wurde der Film auf dem 58. Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet:

>>Der Spezialpreis der Jury geht zum Einen an den türkischen Dokumentarfilm „Demsala Dawî: Sewaxan“ (The Last Season: Shawaks), der in märchenhaften Bildern, aber mit anthropologischer Genauigkeit dem Jahreslauf eines kurdischen Clans folgt. Dem Team um Kazim Öz ist es gelungen, Nachricht von einem Mikrokosmos zu geben, von dem wir Nordeuropäer bisher nichts wussten. Wir freuen uns, dass die türkische Regierung den Kurden am Freitag im Parlament mehr kulturelle Autonomie versprochen hat.<<

(Begründung der Internationalen Jury)

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Filmdaten:

Regie: Kazim Öz
Buch: Kazim Öz
Darsteller: Aga Erel, Emine Erel, Ayse Erel, Osman Erel, Simar Erel, Rabia Erel, Yeter Ilki, Dilara Erel, Kader Topal
Kamera: Kazim Öz
Schnitt: Kazim Öz
Musik: Ardavan Kamkar, Abas Kemendi, Reza Shajarian
Produktion: Mezopotamia Cinema & Yapim 13 Film Productions; Suncem Koçer, Kazim Öz

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